Gewitter, Waldbrand und ein Paradies

Do., 02.08.2018
Treuenbrietzen – Buchholz – Birkhost – Schäpe – Reesdorf – Beelitz – Hellstätten – Fichtenwalde – Petzow – Schwielowsee – Geltow – Wildpark West – Großer Zernsee
Kilometer: 48,4 km

Vorsichtig schaue ich aus dem Zelt. Die Wölfe müssen in dem Waldgebiet östlich von mir sein. Aber Angst habe ich keine! Die werden mich schon in Ruhe lassen! Ich lege mich wieder hin und schlafe ein. Plötzlich wache ich wieder auf. Nicht wegen der Wölfe, sondern wegen Geflacker über mir. Erst denke ich, es sind die Lichter vorbeifahrender Autos, bis ich schließlich realisiere, dass es sich um ein Gewitter handelt. Im Sekundentakt blitzt es am Horizont in Richtung Westen auf und, wie es mir scheint, kommt es näher. Leider sind meine mobilen Daten immer noch aufgebraucht. Ich will mal eben schnell nachsehen, was mich da erwartet, aber es geht nicht. Dennoch rufe ich die Seite auf. Es dauert halt nur lange.
Bin ich hier überhaupt sicher? Mit einem Gewitter habe ich nach dem wolkenfreien Abend überhaupt nicht gerechnet. Um mich herum stehen große Pappeln. Nichts, was gerade als stabil bekannt ist. Aber wo soll ich dann hin? Notfalls muss ich einmal schauen, ob ich mich beim Vereinsheim des Fußballplatzes unterstellen kann.
Mittlerweile ist die Seite geladen, und was ich sehe, gefällt mir gar nicht. Ein Band intensiver Niederschläge liegt vor mir. Es scheinen wohl Gewitter der kräftigeren Sorte zu sein! Ich lade die Animation herunter und bin überrascht, dass die Front nicht, wie üblich, von West nach Ost durchzieht, sondern von Süd nach Nord, also eher einen schleifenden Charakter mit immer wieder den gleichen betroffenen Gebieten hat. Das heißt jedoch für mich: Wenn die Front sich nicht weiter nach Osten verlagert, werde ich verschont. Mit diesem Wissen beschließe ich, abzuwarten, was geschehen wird, und schlafe wieder ein.
Zwei Stunden später wache ich wieder auf. Immer noch blitzt es heftig im Westen, jedoch ohne Donner. Also ist es weiterhin weit genug entfernt. Die Leute, die unter dem Gewitter leben, müssen jedoch eine unruhige Nacht vor sich haben. Ich rufe zur Sicherheit noch einmal das Radar auf: Es gibt keine Veränderung. Immer wieder die gleichen Gebiete bekommen ein Gewitter nach dem anderen. Da muss einiges an Wasser herunterkommen. Ich drehe mich wieder um, und schlafe ein – trotz erneutem Wolfsgeheul in der Ferne!

Als ich am Morgen aufwache, bin ich wie gerädert. Ich spüre, dass die Nacht eher unruhig verlief. Und was macht das Wetter? Es ist unverändert: Im Westen ist es rabenschwarz, bei mir kommt die Sonne durch einen milchigen Himmel. Das Zelt ist trocken.

Nachdem ich alles zusammengepackt habe, geht es an der B2 auf einem Radweg mehrere Kilometer  entlang riesiger Pferdekoppeln. Bis zum Horizont nur Wiesen mit Pferden darauf und mit Zäunen. Unterbrochen wird dies nur durch Kiefernwälder und Höfe. Koppeln und Wälder gehen oft schleichend ineinander über, was einen sehr natürlichen Eindruck hinterlässt. Überhaupt ist diese Landschaft völlig neu auf meiner Reise. Aber sie gefällt mir!

Offene weite Landschaften mit einzelnen Höfen
Und gigantische Pferdekoppeln. Diese hier ist noch sehr überschaubar.

In Buchholz angekommen, verlasse ich die B2 und mache in der Ortsmitte auf einer Bank Pause. Ein älterer Mann kommt mit seinem Hund aus dem Haus, sieht mich, und kommt winkend auf mich zu. Wo die Reise denn hingehen würde, will er wissen. Er sei immer sehr neugierig bei so etwas, da er selbst viel unterwegs sei. Er war früher LKW-Fahrer und fährt heute noch gerne Auto, erfahre ich von dem Mann. 85 Jahre alt sei er, habe leider schon zwei Frauen beerdigen müssen, aber eine Dritte habe er gerade kennengelernt, erzählt er mir lachend. Mit ihr wäre er auch immer viel unterwegs. Er findet meine Reise spitze. Er wünscht mir da ganz viel Glück! Mit diesen Worten macht er sich mit seinem Hund wieder auf den Weg.

Ich bin zwar erst seit gestern in Brandenburg, aber die Freundlichkeit der Leute und ihre Neugierde in ihren Augen fallen mir bis jetzt sehr positiv auf. Ein Resümee wird man sicherlich erst am Ende der Reise ziehen können, und wahrscheinlich ist es auch nicht möglich, die Freundlichkeit der Bürger auf ein Bundesland zu reduzieren. Eher werden es am Ende regionale Unterschiede sein.

Über eine Kopfsteinpflasterstraße verlasse ich Buchholz. Nach Überqueren der Bahnstrecke, geht die Straße im Wald in einen Sandweg über. Doch im Großen und Ganzen lässt sich der Wagen trotz Sand gut ziehen. Als ich kurz darauf zwischen Spargelfeldern stehe, sieht es kurzfristig mal schlechter aus, und ich muss den Wagen ziemlich durch den tiefen Sand ziehen, doch kurz darauf habe ich wieder Rasen unter mir. Auf Wiesenwegen geht es nach Birkhost. Die Landschaft ist weiterhin offen, aber anders als noch entlang der B2. Weniger Wald, mehr Wiesen und eben Spargelfelder.

Von Birkhost führen mich kleinste Landsträßchen Richtung Schäpe. Ich komme mir vor wie auf den kleinen Straßen in Frankreich: Kaum Verkehr, viele Hecken, viele Wiesen, und immer wieder Bäume auf den Wiesen. Die Straßen sind nicht kerzengerade, sondern auch mal schlängelnd. So gefällt mir das! Und die Gewitterfront im Westen ist immer noch tiefschwarz. Ihre Ausläufer sorgen zudem für eine eher milchige Sonne, was sehr angenehm ist. Auf einmal entdecke ich eine Eiche, der von der Spitze ab bis zur Wurzel umlaufend ein Streifen Rinde fehlt. Was ist denn das? Ob das wohl die Folgen eines Blitzeinschlages sind? Keine Ahnung, um ehrlich zu sein!

Was ist denn hier passiert? Ein umlaufender, entrindeter Streifen an einer Eiche.

Kurz vor Birkhost erblicke ich plötzlich links und rechts der Straße riesige Flächen Plantagen mit Sträuchern, die ich zunächst nicht identifizieren kann. Zahlreiche Dixi-Toiletten stehen immer wieder zwischen den Reihen. Außerdem sind sehr viele Erntehelfer damit beschäftigt, irgendetwas in blaue Kisten zu verpacken. Aber was ernten die da? Ich kann es nicht erkennen. Aus der Entfernung sehen die Büsche aus wie Weiden. Aber was gibt es im Obstbereich in dieser Größe, das auch nur annähernd so ausschaut? Ich laufe bestimmt zwei Kilometer an der Plantage entlang und kann schließlich doch noch in der Nähe einen genaueren Blick auf die Sträucher werfen. Heidelbeeren! Und was für Brummer! Mir war ehrlich gesagt nicht bewusst, dass die Sträucher so groß werden. Mit der Wildform hat das ja nichts mehr zu tun.

Heidelbeerplantage

Auf einem sandigen Weg, später auf Betonplatten geht es entlang eines eher stehenden Baches Richtung Beelitz, vorbei an den Orten Schäpe und Reesdorf. Die A9 ist lautstark am Horizont zu vernehmen. Sie muss direkt an den Orten vorbei im Wald verlaufen. An sich ist das „Tal“ hier wunderschön. Schwarz-weiß gefleckte Kühe grasen auf den weiten Weiden, dazu der Bach, der sich durch die Landschaft schlängelt. Aber Probleme bereitet mir der Betonplattenweg: Genau in Achsbreite befinden sich die Transportlöcher, mit der Folge, dass ich alle halbe Meter mit einem der Räder im Loch versinke, was für meinen Hüftgurt trotz neuer „Stoßdämpfer“ sicherlich nicht gesund ist. Doch damit nicht genug, werde ich vor allem an Schilfbereichen und in windstillen Ecken von Bremsen attackiert. Stellenweise habe ich an die zwanzig dieser Biester an mir hängen bzw. um mich herum fliegen. Ich schlage zwar pausenlos um mich, aber wirklich effizient ist diese Abwehrmethode auf Dauer nicht. Ich sprühe mich daher mit Antimückenspray ein, in der Hoffnung, dass es etwas hilft. Als ich Beelitz und einen Supermarkt erreiche, habe ich dennoch einige Stiche abbekommen.

Schöne Landschaft

Ab Beelitz geht es für mich an der gesperrten Landstraße nach Fichtenwalde. Anfangs gehe ich noch davon aus, dass die Straße wegen des schlimmen Waldbrandes vor genau einer Woche für den Autoverkehr gesperrt ist, doch wie es sich nach Passieren einiger Kasernen herausstellt, wird hier mächtig gebaut. Ich frage einen Bauarbeiter, ob ich zu Fuß überhaupt weiterkomme, doch dieser gibt Entwarnung. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite darf ich den neuen Radweg nutzen. Hinter der Baustelle biege ich nach rechts in den Wald ab. Auf dem Europäischen Radwanderweg geht es auf schmalen Asphaltwegen leicht bergauf und bergab durch den Wald, vorbei an gigantischen Holzlagern. An einer Schutzhütte mache ich Rast und döse etwas. Ich spüre, dass die Nacht kurz war.

Jede Menge Kiefernholz ist abfahrbereit

Nach Überqueren der A9 stehe ich vor einem schwarzbraunen Kiefernwald. Ohne zu wissen, wo der verheerende Waldbrand vor einer Woche war, hat mich der Radweg direkt an die ehemalige Brandstelle geführt. Es ist schon beängstigend, welche Ausmaße dieses Feuer gehabt haben muss. Mehrere Kilometer laufe ich an im unteren Drittel völlig verrußten Kiefern vorbei. Bis in diese Höhe müssen die Flammen gelodert haben. Im oberen Bereich ist die Rinde noch rot, aber die Nadeln hat es durch die Hitzeentwicklung in einen Braunton verfärbt. Der Boden ist natürlich verkohlt, und es liegt immer noch ein Brandgeruch in der Luft. Zahlreiche tiefe Fahrspuren im Sand zeigen noch deutlich, wo die schweren Feuerwehrfahrzeuge durch den Wald gefahren sind. Nur 20 m vom Brandherd entfernt verläuft zudem eine Gaspipeline. Nicht auszudenken, wenn sie durch die Hitze auch noch hochgegangen wäre! Immerhin befindet sich über der Pipeline eine Schneise. Bäume an der Schneise wurden scheinbar kurzerhand gefällt. So wollte man wohl ein Übergreifen der Flammen auf die Waldgebiete Richtung Fichtenwalde verhindern. Wo genau der Waldbrand seinen Ursprung hatte, konnte ich beim Vorbeilaufen nicht erkennen. Ich vermute jedoch stark, dass er von der Autobahnböschung her sich durch den Ostwind ausbreitete.

Das Waldbrandgebiet von einer Woche. Gut zu erkennen die geschwärzten Füße der Kiefern
Bäume entlang einer Gaspipeline wurden gefällt, um ein Übergreifen auf die anderen Waldpartien zu verhindern.
Die Gaspipeline in unmittelbarer Nähe

Auf schmalen Radwegen geht es weiter durch den Wald Richtung Ferch. Leicht hügelig ist hier das Gelände. Auch die A10 wird überquert. Ab Ferch führt mich der Radweg etwas abseits des Ufers am  Schwielowsee Richtung Petzow und durch den Lenné-Park. Hier mache ich erneut eine längere Pause.  Anschließend geht es am Schloss vorbei auf schmalen Pfaden nach Schwielowsee. Eine große Touristenanlage ist hier entstanden. Viele kleine weiße schmucke Häuser mit Türmchen prägen den Ferienpark. In Form geschnittene Kiefern lassen Mittelmeer-Atmosphäre aufkommen.

Das Schloss von Petzow
Auch schmale Wege gibt es wieder

Nachdem ich die Havel überquert habe, geht es für mich am Ostufer der Havel durch Geltow und etwas später durch Wildpark West. Zum Greifen nah und doch so fern, liegt die sicherlich schöne Altstadt von Werder. Vielleicht werde ich da ein anderes Mal vorbeikommen. Wildpark West präsentiert sich mir als ein Ort mitten im Wald. Die Häuser und Straßen wurden einfach zwischen die Kiefern gebaut, sodass man im ersten Moment gar nicht realisiert, dass man sich in einem Ort befindet. Von alten reetgedeckten Häusern bis hin zu hochmoderner Architektur, alles ist hier an Baustilen vertreten. Jedoch alle einen die zahlreichen Kiefern im Garten und um die Häuser. Es ist schon faszinierend, welch eine Außenwirkung ein paar Bäume im Garten in der Masse entfalten. Es ist sicherlich schön hier zu wohnen! Aber gerade bei Sturm wird sicherlich mancher Anwohner auch einmal unsicher einen Blick nach oben werfen.

Wohnen im Wald

Um weiter nach Norden zu laufen, ist nun erst einmal ein kleiner Umweg notwendig. Die Bahn versperrt mit einem Bahndamm den weiteren Weg. Auf schmalen Wegen geht es bis zur Brücke, wo der Große Zernsee beginnt. Zahlreiche Boote fahren durch diese Passage. Auf der Nordseite des Damms geht es auf einer kleinen Straße wieder ostwärts. Jedoch nicht weit, denn dann knickt die Straße nach Norden ab. Mein heutiges Ziel ist eine Schutzhütte am Radweg. Nach meiner Karte soll sie zumindest dort stehen. Nach meiner Erfahrung vom Vortag will ich aber erst einmal abwarten, was ich da finden werde. Doch ich kann beruhigt sein. In der Ferne ist bereits die Hütte auszumachen. Doch beim Näherkommen werde ich skeptisch. Was türmt sich denn da in der Ecke? Liegt da schon einer? Als ich noch näher komme, entpuppt sich der vermeintliche Schlafsack als ein riesiger Berg Müll, den irgendjemand hier einfach abgelegt hat. Na toll, was für ein Schwein!

So etwas ärgert mich!

Notgedrungen ziehe ich weiter, jedoch nicht mehr weit: Ein schmaler Trampelpfad zweigt ab und führt über eine frisch gemähte Wiese. Das Heu liegt noch zum Trocknen bereit. Nachdem ein Schilfgürtel umrundet ist, stehe ich in meinem kleinen Paradies! Ein kleiner Strand, eine mächtige Weide mit Stamm als Bank, eine ebene Rasenfläche, sogar eine alte Feuerstelle. Und dazu ein traumhafter Blick hinaus auf den See. Was möchte man mehr! Hinter dem Wurzelteller eines umgestürzten Baumes baue ich blickgeschützt von der Seeseite mein Zelt auf und genieße schließlich, auf dem Stamm sitzend, den Sonnenuntergang. Geht es mir gut? Trotz 48 km? Mir geht es blendend!

Kann man bei so einem Platz weiter gehen? Nein
Sonnenuntergang

Anschließend nutze ich meine neue Dusche: Man sticht dazu in den Deckel einer PET-Flasche einige Löcher und drückt anschließend auf die mit Wasser gefüllte Flasche. Klappt prima. Man muss sich nur zu helfen wissen!

Not macht erfinderisch: Meine Duschbrause “Deluxe”

Nach einem Telefonat mit Katharina, das mittlerweile zum festen Bestandteil vor dem zu Bett gehen geworden ist, schließe ich meine Augen.

 

2 Gedanken zu “Gewitter, Waldbrand und ein Paradies”

  • Da sieht man dass ein schief gegangener Plan doch oft seine Vorteil hat! Wäre die Hütte nicht vermüllt gewesen hättest du auch nicht diesen fabelhaften Platz aufgesucht. Warum hast du hie die Dusche genutzt, der See schaut doch ganz passabel und algenfrei aus?

    • Sieht nur so aus. Das Wasser war jedoch an der Stelle ziemlich schmutzig. Hab auch lange gebraucht um dann eine Stelle zu finden wo ich sauberes Wasser für die Flasche finden konnte

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