Fehlende Infrastruktur und eine ernsthafte Bedrohung
Fr., 03.08.2018
Großer Zernsee – Nattwerder – Grube – Schlanitzsee – Marquardt – Satzkorn – Fahrland – Kartzow –Priort – Elstal – Brieselang
Kilometer: 35,1 km
Als ich am Morgen aufwache, ist es für meine Verhältnisse schon recht spät: Nach 8 Uhr. Zwar war ich gegen 5 Uhr schon einmal wach, aber ich war vom Vortag so müde, dass ich beschloss, liegen zu bleiben.
Ich schreibe noch bis kurz nach 10 Uhr Berichte bzw. komprimiere die Bilder fürs Web. Dann breche ich auf. Offenbar wird es heute doch noch einmal richtig heiß. Zumindest brennt die Sonne heute wieder unangenehmer vom Himmel als an den beiden Tagen zuvor.
Über Schotterwege geht es Richtung Norden durch kleine verschlafene Nester. Zwischendurch verändert sich der Wegbelag hin zu Betonplatten, dann geht es jedoch wieder auf Schotterpisten weiter. Und das sind hier öffentliche Straßen! Kaum zu glauben, dass ich mich eigentlich vor den Toren Berlins befinde!
In Schlanitzsee führt mich mein Weg geradeaus an einer kleinen Siedlung vorbei, bis ich schließlich am Kanal mit einem Schild darauf hingewiesen werde, dass ab hier der Weg gesperrt ist. Man ist so nett und hat noch eine Umleitung auf einen Plan eingezeichnet. Manchmal frage ich mich ja schon, ob manche ihren Kopf nur zur Zierde mit sich herum tragen! Warum bringt man unmittelbar vor der Baustelle so eine Information an anstatt an der letzten Kreuzung einen Kilometer zuvor. Hier bringt sie mir herzlich wenig!
Ich stapfe missmutig die ganze Strecke zurück zur Straße und biege ab. Vor mir liegt nun in einiger Entfernung ein Bahnübergang. Die Ampel springt auf Rot, nach einiger Zeit kommt ein Zug vorbei. Die Schranke geht wieder hoch, um unmittelbar danach wieder herunter zu gehen. Der nächste Zug fährt durch. Dieses Spiel wiederholt sich in der Zeit, die ich für die Wegstrecke zum Bahnübergang benötige, dreimal. Na, hier ist ja was los! Es wundert mich daher auch nicht, dass ich ebenfalls vor verschlossener Bahnschranke zum Stehen komme. Zwei Radler interessieren sich inzwischen für die Reise und wünschen mir weiterhin viel Erfolg. Nur schnell weiter, bevor sich die Schranken wieder senken!
An der Bundesstraße entlang überquere ich den Sacrow-Paretzer-Kanal, um kurz darauf in einen Kreisverkehr abzubiegen. Vor mir liegen nun mehrere Kilometer Landstraße ohne Radweg oder Ähnlichem. Auch Wanderwege gibt es laut Karte in dieser Gegend nicht. Irgendwie scheint man sich hier voll und ganz auf die Autofahrer eingestellt zu haben. Selbst in den entlegensten Ortschaften im Harz, hatte ich nie Probleme, einen Supermarkt zu finden. Doch hier in dieser Gegend ist auf weite Entfernungen absolut nichts zu finden. Ich hatte am Vorabend auf der Karte schon verzweifelt nach einem Lebensmittelgeschäft entlang der Strecke gesucht. Doch der nächste Supermarkt liegt für mich erst kurz vor Etappenende an der Wegstrecke. Irgendwie hat die naheliegende Hauptstadt wohl eine Sogwirkung, und das Umland verhungert. Ich frage mich ernsthaft, wie die älteren Anwohner das machen. Das Problem scheint jedenfalls bekannt zu sein. Im Internet finde ich nämlich Berichte, dass sich Bürgerinitiativen gegründet haben für die Erschließung eines Supermarktes.
Ich brauche jedenfalls langsam dringend Wasser! Ich halte daher an einem Obsthof an und frage nach Leitungswasser. So etwas haben sie hier nicht, nur Brunnenwasser, aber das könne man nicht trinken, bekomme ich als Antwort. Also geht es notgedrungen weiter ohne Wasser. Ich habe zwar noch knapp einen Liter Trinkwasser, aber dennoch wird es bei diesem Wetter langsam eng!
Weiter geht es ab Fahrland an der Landstraße Richtung Priort. Zwar handelt es sich um eine relative kleine Straße, aber der Verkehr ist hier schon enorm. Vor allem gibt es auch viel LKW-Verkehr, was an einem naheliegenden Betonwerk liegen könnte. Als einer dieser Lastzüge an mir vorbeirast, wird meine Kappe erfasst und fliegt in hohem Bogen davon. Ich bin mittlerweile ziemlich genervt! Warum ist denn hier die ganze Infrastruktur so einseitig ausgebaut. Die Felder reichen bis an die Straßen heran, aber Platz für Wander- oder Radwege gibt es offenbar keine!
Ich bin daher ganz froh, als ich in Priort die Straße auf schmalen Wanderwegen in die Döberitzer Heide verlassen kann. Zudem führt mich der Wanderweg auf schnellstem Weg nach Elstal, wo laut meiner Karte nach über 20 km der erste Supermarkt auf mich warten soll. Hinweisschilder entlang des schönen Pfades weisen mich daraufhin, dass man hier die Wege nicht verlassen sollte, da überall noch Munitionsreste liegen können.
Als ich aus dem Wald auf eine offene Heidefläche komme, sehe ich plötzlich, dass vor mir Rauchwolken hinter einem Waldstück am Horizont aufsteigen. Der weiße Qualm wird schnell stärker, und es liegt dann auch Brandgeruch in der Luft. Da wird doch nicht der Wald brennen? Das hat mir auf meiner Tour gerade noch gefehlt! Mich beunruhigen dabei mehrere Tatsachen: a) der Wind kommt genau aus der Richtung der Rauchwolke, b) die angekündigten Munitionsreste abseits der Wege und c) in genau diese Richtung liegt Elstal.
Ich will gerade umdrehen, um den Wald besser zu verlassen, da kommt ein Feuerwehrmann auf einem Fahrrad aus einem Waldweg links von mir und fordert mich auf, das Gelände schnell zu verlassen. Ein Polizeihubschrauber, der mittlerweile tief über mir kreist, verleiht der Aufforderung eine weitere Brisanz. Auf die Frage, wo ich am besten auf schnellstem Wege wieder aus dem Gelände komme, zeigt mir der Feuerwehrmann den Weg, aus dem er zuvor mit dem Rad angefahren kam. Mit der erneuten Aufforderung, mich zu beeilen, fährt er vor mir davon. Ich folge dem schmalen Pfad Richtung Westen mit dem Irrglauben, mich nun vom Brandherd zu entfernen. Nach einem Schwenk des Weges nach Norden, stehe ich jedoch nicht nur einer Flammenwand in einiger Entfernung gegenüber, auch zahlreiche Feuerwehrautos versperren mir im weiteren Verlauf den Weg, allerdings von mir aus gesehen hinter der Flammenwand, die sich rechts des Weges befindet. Sie wird von Windböen angefacht, jedoch mit Tendenzen, auf den Weg und in den linken Heidebereich überzugreifen. Wo, zum Geier!, hat mich der Feuerwehrmann eigentlich hingeschickt. Ich biege daher, ohne großartig zu überlegen, in einen nach links abbiegenden Schotterweg ab. Nur noch weg von hier! Ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr hat inzwischen die Flammenwand passiert und nähert sich meiner Position. Ich rufe den Feuerwehrmännern im Auto zu, ob ich hier vom Gelände wegkomme. Die Antwort ist wenig aussagekräftig. Denn ich bekomme nur ein „Ich glaube schon“ zu hören. Sind die hier alle ortsfremd? Mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Glück zu versuchen, und folge dem Schottersträßchen nach Westen. Über mir kreist die ganze Zeit der Polizeihubschrauber. Plötzlich versperren mir zwei gespannte Litzen den Weg. Ich hänge sie aus und hinter mir wieder ein, und ziehe weiter. Doch sehr viel weiter komme ich nicht. Ein Eisentor des nahegelegenen Erdbeerhofs versperrt mir nun endgültig den Weg. Jetzt wird es langsam aber richtig brenzlig! Ich eile die Strecke zurück und biege kurzerhand in einen Weg nach Süden ab. Der Weg, den ich herkam, ist mir mittlerweile zu heikel. Das Prasseln der Flammen ist hinter mir deutlich zu hören. Stück für Stück entferne ich mich nun vom Brandherd. Puh, da hab ich wohl noch mal Glück gehabt! Plötzlich kommt mir ein Radfahrer entgegen. „Du brauchst da gar nicht weiter zu laufen“, ruft er mir schon weitem zu. „Die Feuerwehr hat mich hier hereingeschickt, aber da hinten kommt ein Tor, und das ist verschlossen.“ Das gibt es doch nicht! Zurück gehe ich keinesfalls mehr. Ich schaue auf meiner Karte nach und entdecke einen schmalen Pfad, der hier irgendwo abzweigen soll. Ich teile dem Radfahrer mit, dass ich nun dort mein Glück versuchen werde. Er hingegen will wieder zurück zur Kreuzung. Ich rate ihm davon aber eindringlich ab. “Da sind schon fast die Flammen angekommen, würde ich nicht empfehlen”, sage ich daher zu ihm. Er lässt sich zum Glück überzeugen und folgt mir auf der Suche nach dem Pfad. Diesen finden wir schließlich auch nach Süden abzweigend. Ob wir da wirklich durchkommen, will der Radler wissen. Das kann ich so genau natürlich auch nicht sagen, aber was haben wir schon für eine Wahl? In Kurven schlängelt sich der Pfad durch das Unterholz, um schließlich tatsächlich in einem Wohngebiet von Priort zu enden. Puh, da hatten wir aber mehrere Schutzengel! Wir sind in Sicherheit!
Zahlreiche Anwohner haben sich versammelt und schauen beunruhigt Richtung Wald. Sie wollen sofort wissen, wo es brennt und ob die Feuerwehr die Lage im Griff hat. Sie haben Angst, dass die Flammen irgendwann auf ihre Häuser übergreifen, und sie evakuiert werden müssen. Einige überlegen auch, mit Gartenschläuchen los zu ziehen.
Anmerkung zum Brand:
Ich hatte vor Ort, wie man sich vorstellen kann, keine Zeit oder Lust, Bilder zu machen. Auch wenn dies den Beitrag sicherlich für die Leser noch eindrücklicher gemacht hätte! Auch Zeitungsartikel konnte ich nicht finden. Die Feuerwehr Elstal hat jedoch einen Bericht auf ihrer Homepage veröffentlicht, auf den ich verlinke.
http://www.feuerwehr-elstal.com/phone/3.-quartal.html
Einsatz: 2018_66
Ich verlasse Priort nun weiter entlang der Landstraße Richtung Outletcenter. Bei McDonalds stürme ich die Toilette, kann endlich nach mehreren Stunden wieder meine Flasche auffüllen und etwas trinken. Auf Radwegen geht es durch das Outletcenter weiter zum örtlichen Supermarkt.
Hier beschließe ich, mir auf den Schreck hin eine Packung Eis zu gönnen, die gerade im Angebot ist. Im Schatten auf einer Wiese sitzend, löffle ich kurz darauf das Pistazieneis leer. Knapp einen Liter Eis, kein Problem! In Gedanken muss ich an den Brand denken und wie viel Glück ich da letztendlich hatte. Führt dieser Sommer am Ende dazu, dass ich Waldgebiete aus Sicherheitsgründen für die nahe Zukunft meiden werde? Oder soll ich gar ganz abbrechen, bis diese Dürreperiode abgemildert ist? Das möchte ich eigentlich ungern machen. Ich schicke Katharina eine Sprachnotiz, dass ich wieder in Sicherheit bin und sie sich keine Sorgen machen muss. Ich hatte ihr nämlich noch im Wald von aufsteigendem Rauch vor mir geschrieben.
Eine gut ausgebaute Bahnlinie versperrt mir nun laut Karte den weiteren direkten Weg nach Brieselang. Ich überlege daher, wie ich nun am besten weiterlaufe. Da entdecke ich auf der Karte in unmittelbarer Nähe zu meinem Standort eine eingezeichnete Brücke über die Schienen. Das bedeutet zwar Treppen, aber es würde mir im Vergleich zur Alternative über eine weite Strecke Richtung Westen einiges an Zeit sparen. Ich beschließe daher, es einfach mal zu versuchen. Durch einen Kiefernwald geht es auf einem schmalen Pfad zum Bahnhof hinab. Ich kann beim Abstieg auch schon die Brücke erkennen und stelle fest, dass diese zumindest von der einen Seite einen Aufzug besitzt. Das würde ja einiges erleichtern! Und so stehe ich kurzerhand in dem völlig überhitzten Aufzug und gleite in die Höhe. Oben angekommen, geht es über das in diesem Bereich sehr breite Bahngelände. Kurz vor Erreichen der anderen Brückenseite gibt es jedoch doch noch einmal einige Stufen zu bewältigen, da der Bereich unmittelbar über der aktiven Bahnstrecke nochmals ein Stück erhöht wurde. Doch dann habe ich es geschafft, und es geht an den Abstieg. Dieser gestaltet sich letztendlich als einfacher als gedacht.
Auf einem sandigen Weg geht es zu einer Schrebergartensiedlung. Teilweise scheinen hier jedoch auch die Leute fest zu wohnen. Über eine alte Straße aus Kopfsteinpflaster in furchtbarem Zustand geht es Richtung Westen. Zum Glück habe ich wieder die Möglichkeit, auf einen Sandstreifen auszuweichen. Stellenweise hat der Wind im Laufe der Zeit richtige Wanderdünen auf die Straße geweht.
Durch ein mächtiges Gewerbegebiet geht es schließlich auf Brieselang zu. Katharina hat mir mittlerweile mitgeteilt, dass sie sich auch auf den Weg gemacht hat. Denn sie wird mich wieder besuchen kommen, was mich sehr freut. Die drei Wochen Pause waren schon sehr extrem! Aber das wird uns noch einige Male bevorstehen.
Zu Gast werden wir über das Wochenende bei Karin und Peter sein. Peter ist ein Cousin von Jens, bei dem ich vor zwei Wochen so wunderbar empfangen wurde. Er hatte nach meinem Besuch Peter kontaktiert und ihn gefragt, ob die Möglichkeit besteht, dass ich hier ebenfalls ein Quartier auf meiner Reise finde. Und die beiden haben dem sofort zugestimmt. Dafür vielen Dank! Es ist toll, wie man so nach und nach neue Menschen kennenlernt.
Karin und Peter empfangen mich kurz darauf herzlich. Sie wohnen in einem wunderschönen Holzhaus, mit einer separaten Gästewohnung, in der Katharina und ich übernachten können. Katharina trifft wenig später auch ein. Fast knapp drei Stunden hat sie heute für den Anfahrtsweg benötigt. In einem wunderschönen Garten mit frei laufenden Hühnern, bekommen wir schließlich ein leckeres Essen serviert. Es gibt Lammfleisch, Würstchen, gegrilltes Gemüse, Gurkensalat und anderes Gemüse aus dem eigenen Garten. Bis spät in die Nacht unterhalten wir uns bei der milden Luft im Garten. Gegen 1 Uhr gehen wir schließlich ins Bett.
Auweia, wenn man deine brandheißen Schilderungen im Nachhinein liest, wirkt es durch den Detailreichtum noch brisanter als deine Erzählung direkt an dem Abend. Da hast du echt nochmal Glück gehabt! Wir wünschen dir, dass dich Schutzengel mit genugend Ortskenntnis auf deiner Reise begleiten! Karin und Peter