Ruhetag? Oder wie man die Nacht zum Tag macht
Mi., 20.6.2018
Barmke – Helmstedt – Beendorf – Hörsingen
Kilometer: 30,5 km
Katharina muss heute sehr früh gehen. Ich beschließe, heute einen Ruhetag einzulegen, schließlich stecken mittlerweile fast 100 km in den Beinen, und bleibe daher noch etwas liegen. Gegen 8 Uhr räkele ich mich aus dem Schlafsack und nehme mir meinen kleinen Laptop, um die ersten beiden Tage vorzubereiten. Doch mangels Stromversorgung – meine Powerbanks möchte ich nicht gleich opfern – höre ich damit recht bald schon auf. Ich beginne das Zelt abzubauen und mache mich schließlich gegen 10.30 Uhr langsam auf den Weg nach Helmstedt.
Mir bereiten die Folgen der Wanderung durch das Prozessionsspinnergebiet immer mehr Probleme. Daher beschließe ich, in Helmstedt eine Apotheke zu besuchen.
Am Vorabend hatte ich zwei passende Gewindestangen in die Trekkingstöcke versenkt, die Katharina mitgebracht hatte. Das Ergebnis sieht zufriedenstellend aus, sodass ich einen Besuch eines Baumarktes erst einmal wieder zurückstelle.
Nach kürzerem Überlegen entschließe ich mich, die Route über den Lappwald nördlich der A2 nach Helmstedt zu wählen. Auf Vorstadt-Gewerbegebiete stehe ich nämlich nicht so. Nach Unterquerung der A2 bei Barmke geht es im Wald auf schmälerem Wege den Berg hoch. Im Vergleich zum Vortag ist die Luft heute drückend und schwül. Immer wieder krabbeln Hirschlausfliegen an mir herum und hängen in meiner Armbehaarung. Der Weg hat sich mittlerweile in eine breite Forststraße verwandelt und läuft meist parallel zur A2, leider mit der entsprechenden Geräuschkulisse!
Plötzlich entdecke ich im Jakobs-Greiskraut jede Menge Raupen des Jakobskrautbären. Nach einigen Fotos geht es weiter durch den Lappwald. Zunehmend auch von der A2 etwas entfernt. Am schönen Schafsteich mache ich eine kurze Pause, und ärgere mich über den vielen Müll, der hier herum liegt. Ich verstehe nicht, warum viele Leute nicht in der Lage sind, ihren Müll wieder mitzunehmen.
Über das Autobahnkreuz Helmstedt-Zentrum gelange ich schließlich in die Stadt. Bei Netto hole ich mir noch etwas Verpflegung und statte dann der Innenstadt einen Besuch ab. Auffallend sind im Altstadtbereich viele alte Häuser. Zum Teil riecht es in den Straßen richtig alt, was ich nicht abwertend meine, sondern eher als ein Zeichen für das Alter dieser Häuser. Am Marktplatz fülle ich meine Trinkflaschen mit Wasser auf und hole mir in einer Apotheke Hydrocortison, um endlich den furchtbaren Juckreiz von den Prozessionsspinnern in den Griff zu bekommen. Nebenbei ertönt vom Rathaus ein hübsches Glockenspiel.
In nordöstlicher Richtung verlasse ich Helmstedt über ein paar kleine Stadtparks und verschwinde wieder im Lappwald. Ich habe mir als Übernachtungsziel eine lockere Heckenlandschaft östlich von Beendorf ausgesucht. Anfangs noch schön schattig, wird der Weg zunehmend sonnig, und die Betonplatten wie bei Rade haben mich auch wieder. Habe ich bei Rade noch überlegt, ob ich beim Folgen dieser Betonplatten automatisch den Brocken erreiche (von daher kenne ich sie nämlich schon), wird hiermit diese Theorie zerstreut. Offenbar wurden diese Art von Betonplatten in der ehemaligen DDR gerne verbaut. Für mich mit Wagen heißt diese Weggestaltung: Immer schön die Spur halten, sonst macht es nämlich nur noch Rumms, Rumms, Rumms.
Kurz vor Beendorf verlasse ich den Betonplattenweg und laufe auf einem schönen Wiesenweg hinab nach Beendorf. Und wie schon in Haselhorst, fällt mir sofort die veränderte Außenwahrnehmung auf. Ich kann es nicht in Worte fassen, was genau anders ist, aber ohne zu wissen, dass ich eben Sachen-Anhalt und damit die ehemalige DDR erreicht habe, ich sehe und spüre es. Ich glaube, es sind die oft sehr alten Häuser in Kombination mit einer ausstrahlenden Herzlichkeit und Liebe fürs Detail.
Nach Durchqueren des Ortes und der Aller, die hier noch winzig klein ist, erreiche ich meinen geplanten Schlafplatz.
Doch dieser ist bereits belegt. Er ist eingezäunt, und es grasen Rinder. Da möchte ich ungern mein Zelt aufschlagen, und so arbeite ich mich immer weiter den Berg hinauf und stehe in Getreidefeldern, soweit das Auge reicht. Einzelne Bäume und Hecken bieten keinen Platz für mein Zelt, und da wo Platz wäre, steht ein Hochstand. Tja, was nun? Nach Öffnen von Google-Maps und der Wanderkarte, beschließe ich, noch durch den Wald nach Hörsingen zu laufen. Der Wald ist geprägt von einem Sammelsurium an Gattungen. Neben Rotbuche, Eiche, Birke und Fichte, begegnen mir noch Pappel, Esskastanie, Kiefer und Ahorn.
Kurz vor Hörsingen treffe ich auf einen kleinen Fußballplatz. Er ist wunderbar gelegen in der Abendsonne. Es ist kein Mensch da, allerdings ist er eingezäunt und mit einem Vorhängeschloss gesichert. Also muss ich weiter suchen. Ein paar Meter entfernt gibt es eine frisch gemähte Wiese mit hohem Randstreifen. Ich überlege, hier zu bleiben, aber im Randstreifen scheinen einige Rehkitze zu liegen. Die möchte ich nicht stören. Ich beschließe, nach Hörsingen hinein zu laufen und zu schauen, wie es am anderen Ende aussieht. Außerdem wird mein Wasser schon wieder knapp und Hörsingen hat einen Friedhof. Dort fülle ich auch mein Wasser wieder auf. Was fehlt, ist weiterhin ein Schlafplatz. Und es wird bald dunkel.
Ich verlasse den Ort Richtung Osten und versuche hier mein Glück. Überall Getreide, und Raps. Nirgends eine Chance. Ich biege in einen Feldweg ein und laufe runter in eine kleine Senke. Links Kamille, rechts eine saftige Wiese, recht kurz gehalten. Weiter oben Hecken. Ich beschließe, hoch zu laufen und mir das mal anzuschauen. Und tatsächlich, hier wäre Platz. Aber das scheint Millionen von Kriebelmücken und einigen Bremsen, die entlang der Hecken wie eine Wand stehen, nicht so sehr zu gefallen. Bevor ich auch nur eine Hand an meinem Wanderwagen habe, bin ich eingehüllt in einer schwarzen Wolke. Ich fliehe. Und die Wolke mir hinterher. Ich hab das Gefühl aufgefressen zu werden. Zum ersten Mal bin ich ratlos. Was soll ich machen. Katharina, die sich schon Sorgen macht, weil ich immer noch keinen Schlafplatz habe, kann ich auch immer wieder nur sagen, dass ich bestimmt noch etwas finde. Doch in Wahrheit kriecht zum ersten Mal auf dieser Tour die Frage auf, was zum Teufel ich hier eigentlich mache. Ich könnte so bequem mit Katharina auf dem Sofa liegen, die zwei Kater neben uns, und stattdessen lasse ich mich hier von Mücken attackieren. Mittlerweile habe ich wieder die Senke mit der Wiese erreicht. Hier sind scheinbar keine Mücken, aber alles ist voller Nachtschnecken, da die Wiese schön nass ist. Ich schaue hinüber zum Kamillenfeld. Mittendrin, umrandet von Raps, ist eine kleine Lücke. Völlig entkräftet, baue ich in diese Lücke mein Zelt auf. Die Sonne ist bereits untergegangen.
Ich räume eilig das Wichtigste ins Zelt und stutze. Wo verdammt noch mal, ist nun mein GPS-Gerät hin? Dieses führe ich mit, um täglich die zurückgelegte Strecke aufzuzeichnen. Ich überlege. Ich hatte oben am Hang die Tasche geöffnet, um Mückenspray heraus zu holen. Vielleicht ist es da herausgefallen. Ich schnappe mir meine Stirnlampe und stürze mich wagemutig in die Schlacht mit Milllionen Mücken. Gebracht hat es mir aber nichts. Nichts zu finden. Ich gehe daraufhin zurück zum Zelt und suche auf der gegenüberliegenden Wiese, auf der ich ja kurz war, ebenfalls den Boden ab. Wieder nichts. Und wenn es mir direkt am Zelt zu Boden gefallen ist? Ich beginne den Boden um das Zelt, später im Zelt alles abzusuchen. Nichts. Scheiße! Ich rufe Katharina an, da mir einfällt, das ich mich noch gar nicht gemeldet habe, und erzähle ihr von meinem Missgeschick. Mir lässt es keine Ruhe, und so gehe ich mit Handy am Ohr erneut die Strecken ab. Aber erneut ohne Erfolg. Ich habe keine Lust mehr und verabschiede mich und lege mich hin. Ich überlege und grübele. Und wenn ich es schon viel früher verloren habe? Aber wenn ja wo? Mittlerweile ist es schon 23.30 Uhr. Ich hantiere wieder mit meiner Taschenlampe herum, als sich plötzlich ein Auto den Feldweg hinab nähert. Ich mache die Taschenlampe aus. Habe ich mit meinem Hin und Her neugierige Anwohner angelockt? Das Auto stoppt, man hört Türen, das Knirschen von Kies unter den Füßen und das Gemurmel von zwei Männern. Vielleicht Jäger, oder suchen sie die unbekannte Lichtquelle? Durch die Senke ist mein Zelt gut versteckt im Dunkeln. Ich harre der Dinge, die da kommen. Doch kurz darauf hört man wieder den Motor anspringen und das Auto wenden. Sie fahren. Was auch immer sie wollten. Ich drehe mich um und versuche zu schlafen.
Hallo Markus, Christa hat mir heute von deinem Reisebericht erzählt, und da ich neugierig bin habe ich angefangen ihn zu lesen und kann gar nicht mehr aufhören . Einfach super.Bin gespannt wie es weiter geht. Ich wünsche Dir weiterhin viel Glück auf deiner Reise. Sei gedrückt Anne
Hallo Anne, es freut mich sehr, das du dich so für mein Tagebuch begeistern kannst. Ich hoffe ich kann auf die Dauer die Regelmäßigkeit und Ausführlichkeit behalten.
LG Markus