Vom Harz an die Oder und weiter nach Lindau und Bodensee
Do., 12.07.2018
Katzenstein – Petershütte – Osterode –Ührde – Wulften – Lindau – Bilshausen – Bodensee
Kilometer: 30,3 km
Wer sich bei der heutigen Überschrift denkt: „Hä, hat der Gute nun einen Sonnenstich?“, der wird überrascht sein! Viel Spaß!
Der Morgen beginnt wie der Vortag neblig. Hatte ich die letzten Wochen keinerlei Probleme mit einem nassen Außenzelt, so habe ich nun mit Kondenswasser beim Abbau zu kämpfen. Zum Glück weht etwas Wind, sodass ich einfach das Außenzelt umgedreht aufspannen kann.
Nachdem ich alles verpackt habe, geht es einige Meter durch den Ort und dann auf das Rigips-Werk zu. Laut Karte beginnt dort ein schöner Wanderweg entlang der Klippen. Aber mit jedem Meter, den ich dem Werk näher komme, werde ich skeptisch. Wo soll der denn sein? Ausgeschildert ist auch nichts. Und mittlerweile stehe ich mitten auf dem Werksgelände. Ein großer Schredder zerkleinert Gestein und befüllt über Förderbänder einen Lkw. Links von mir steht auf einer Waage ebenfalls ein Lastzug.
Ein Mann mit gelber Schutzweste kommt auf mich zu. Ich gehe zu dem Zeitpunkt davon aus, dass es sich um einen Mitarbeiter handelt, und frage ihn daher um Rat. Doch wie sich herausstellt, handelt es sich dabei nur um den Fahrer des Lastzugs. Also ebenfalls ortsfremd. Er denkt aber auch, dass ich hier verkehrt bin, und daher drehe ich wieder um. Zum Glück hält sich der Umweg in Grenzen.
Dann geht es eben doch entlang der Straße durch die Vororte von Osterode. Hinter Petershütte habe ich das Gefühl,eine Großstadt zu betreten. Die Bundesstraße führt vierspurig über eine Hochbrücke durch den Ort. Dazu jede Menge Industrie und Gewerbe. Nach dem Harz und den eher hübschen Orten ein richtiges Kontrastprogramm. Dabei ist Osterode gar nicht so groß.
Bin ich bisher immer McDonalds aus dem Weg gegangen, laufe ich nun genau dorthin. Kostenfreies WLAN und vor allem Steckdosen sind der Auslöser. Doch ganz so gratis komme ich nicht weg. Irgendetwas sollte ich schon bestellen, wenn ich hier sitze. Ich versuche es mal mit dem Frühstück. Rührei und Bacon in einer Art Fladenbrot. Die Mitarbeiter sind hier alle sehr sehr freundlich. Und auch vom Rührei mit Bacon bin ich positiv überrascht. Auch der Kaffee kann sich sehen lassen. Vielleicht sollte ich meine Vorurteile gegenüber McDonalds nochmal überdenken. Zumindest diese Filiale mit dem Frühstück hat mich überzeugt.
Nach knapp drei Stunden verlasse ich den Schnellimbiss wieder und marschiere in die Innenstadt. Den Vergleich mit den Orten am Nordrand des Harzes kann Osterode nicht mithalten. Zwar gibt es auch hier Fachwerkhäuser, aber bei weitem nicht in der Dimension wie in Goslar oder in Quedlinburg.
Da sich bei mir an einem Finger eine Nagelbettentzündung anbahnt, besuche ich eine Apotheke und frage um Rat, ob hier das Hydrocortison von Helmstedt die richtige Wahl ist. Doch mir wird davon abgeraten. Eine Zugsalbe oder Betaisadona sei da besser. Also kaufe ich mir notgedrungen noch eine Salbe Betaisadona. Es bringt ja nichts, wenn meine Reiseapotheke mir nicht weiter hilft. Gemacht werden muss schließlich etwas.
Über den Karstwanderweg verlasse ich Osterode. Im Gegensatz zum Vortag ist der Wagen hinter mir heute nicht zu spüren. Muss wohl doch irgendwie an der unterschiedlichen Packreihenfolge gelegen haben.
Steil geht es nun am Ortsrand durch den Wald hinauf auf die Anhöhe. Aber zum Glück ist es nur ein kurzes Stück. Denn nun geht es zwischen den Feldern und Wiesen mehr oder weniger auf einer Höhe bei mittlerweile sonnigem Wetter durch die hügelige Landschaft links und rechts. Die Gipskarstlandschaft mit ihren noch bunten Blumenwiesen sagt mir sehr zu. Auch die offene und weite Landschaft.
Richtung Norden zieht es sich schauerartig zu. Dicke weiße Quellwolken mit ihren schwarzen Unterseiten nähern sich dem Harz. Aber noch bleibe ich trocken.
An einem großen Steinbruch vorbei, steige ich nach Ührde ab. Von da ab folge ich einem schönen Tal auf einer kleinen Asphaltstraße. Auf der kompletten Strecke von knapp 3 km kommt mir nur ein Auto entgegen. An einem Anstieg verlasse ich das Sträßchen nach rechts und erklimme über einen Wiesenweg den Hang. Oben angekommen, beobachte ich die immer näher rückende Wolkenfront. Heute werde ich wohl noch nass werden!
Über kleine sandige Feldwege erreiche ich einige größere Fischteiche. Nach einer kurzen Pause schaue ich nach dem weiteren Wegverlauf. Laut Karte soll ein befestigter Weg recht steil auf den Hügel vor mir führen. Vor mir liegt jedoch ein Weg, den ich eher als wilden Wiesenweg bezeichnen würde. Und so wie es von hier unten aussieht, endet dieser auch noch im Dickicht. Immer wieder vergleiche ich die Karte mit meinem Standort. Doch, das ist definitiv der Weg. Also versuche ich eben mein Glück.
In der vollen Sonne erklimme ich langsam den Hang. Der Weg ist ziemlich wild, und ich bin immer noch skeptisch, ob er oben überhaupt weiterführt, oder ich plötzlich vor Farn und Brennnesseln strande. Doch meine Skepsis ist unbegründet. Der Weg macht, von unten nicht einsehbar, einen Knick, und ich komme weiter. Oben angekommen, lande ich auf einem asphaltierten Feldweg. Geschafft!
Osterode und der Harz werden mittlerweile richtig geduscht. Ein dunkler Regenvorhang erstreckt sich vor mir. Na, da bin ich ja mal gespannt, wann ich dran bin!
Über eine Art Grat geht es mit schönen Ausblicken nach Süd und Nord, Richtung Westen. In der Ferne sieht man ganze Wälder nieder gemäht. Ich bin nun mitten im Einzugsgebiet von Orkan Friederike. Die Region hier bis hinunter nach Göttingen war mit am Schlimmsten betroffen. Bis jetzt habe ich jedoch noch Glück gehabt, und alle Wege waren passierbar. Auch scheint es eher die Osthänge getroffen zu haben.
Als ich auf asphaltierten Feldwegen steil den Berg hinab nach Wulften absteige, befürchte ich, in jedem Augenblick von dem Schauerband getroffen zu werden. Doch bis jetzt drückt es sich mehr Richtung Harz herum.
Nachdem ich Wulften durchquert habe, stehe ich plötzlich vor verschlossenen Bahnschranken. Ein gelber Kasten mit Aufschrift weist mich daraufhin, dass ich zum Öffnen der Schranken einen Hebel herunterdrücken soll. Die Schranken würden sich dann, sofern kein Zug im Anmarsch ist, öffnen. Doch ich bin auch mit Wagen schlank genug, um den separaten Fußgängerbereich nutzen zu können.
Über kiesige Feldwege geht es nun weiter. In der Ferne beobachte ich einen Fuchs, der über den Weg in einem kleinen Fichtenhain verschwindet. Mir ist in den letzten Tagen aufgefallen, wie oft ich zur Zeit tagsüber Füchse sehe. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass diese eher nachtaktiv sind.
Das Schauerband hinter meinem Rücken nimmt nun neuen Anlauf und möchte mich mit einer gratis Dusche beehren. Doch genau in dem Moment, als die ersten dicken Tropfen auf den Boden aufprallen, steht plötzlich eine Schutzhütte vor mir. Was für ein Zufall! Den ganzen Tag bin ich unterwegs, zum Teil streckenlang kein Baum oder Strauch, und genau jetzt, wo es anfängt zu regnen, habe ich einen trockenen Unterschlupf! Das nenne ich mal Glück!
Ein kräftiger Platzregen setzt ein. Mich stört das jedoch nicht. Ich sitze schön im Trockenen. Und lange hält der Regen auch nicht an. Schon wenige Minuten später ist es bereits wieder trocken.
Ich habe mittlerweile die Oder erreicht. Ja richtig gelesen, die Oder.
Und ich setze sogar noch einen drauf: Denn nur einen Augenblick später erreiche ich die ersten Häuser von Lindau. Was habe ich heute für Siebenmeilen-Stiefel an! Wahnsinn!
Ich durchquere Lindau, um kurz darauf die Rhume zu überqueren. Die armen Menschen hier. Bei Hochwasser sind sie gleich von zwei Flüssen in Bedrängnis gebracht.
Entlang der Rhume geht es nun auf einem schönen Waldweg vorbei an der schön hergerichteten Klingenbergquelle. Dort fülle ich selbstverständlich alle meine Flaschen auf. Was für ein herrliches eiskaltes Quellwasser. Lecker!
In Bilshausen stoße ich auf den Eichsfeld-Wanderweg, der mich zu meinem heutigen Schlafplatz führen soll. Anfangs geht es noch durch den Ort, doch recht bald verlässt der Weg die Straße und biegt auf Felder ab. In meiner Karte ist der Wanderweg ein Stück oberhalb des Hanges eingezeichnet. Die Markierung führt jedoch auf einem Weg unterhalb parallel dazu in einen Wald. Nun gut, die werden schon wissen, was sie machen, denke ich mir und folge der Markierung. Auf einem von Forstmaschinen vergewaltigten Weg geht es leicht bergauf durch den Wald. Der Duft von tausenden Blüten des Asiatischen Springkrauts liegt in der Luft. Dieses säumt hier in Massen den Wegrand. Der Wald wird immer lichter, bis schließlich am Hang kein Baum mehr steht. Wohl auch ein Resultat von Friederike. Der Weg vor mir sieht mittlerweile entsprechend aus. Doch viel unangenehmer sind die Bremsen, die hier die Jagd auf mich eröffnet haben. Obwohl ich um mich schlage wie ein Verrückter, werde ich immer wieder in den Rücken oder in die Schultern gestochen.
Und dann stehe ich plötzlich vor der Bundesstraße, und was fehlt ist ein weiterer Wanderweg. Ich hatte mich schon von Anfang an gewundert, wo hier der Weg weiterführen soll. Entweder ist der Wanderweg im Zuge der Aufräumarbeiten nach Friederike verloren gegangen, oder aber die Markierung war von Anfang an Schrott! Wäre ich, wie in meiner Karte eingezeichnet, den oberen Weg gegangen, wäre ich bis zum Ortsanfang abseits der Straßen unterwegs gewesen. Aber gut, jetzt ist es eben so! Ich mache mich auf den Weg, die letzten Kilometer entlang der Straße. Trotz einigem Verkehr überholen mich die Autos mit ausreichendem Abstand. Wohl fühle ich mich dennoch nicht. Ich bin daher froh, als ich schließlich das Ortseingangsschild meiner heutigen Übernachtung erreiche.
Bodensee.
Für mich als Baden-Württemberger sind die beiden Ortschaften Lindau und Bodensee ein besonderes Vergnügen. Irgendwie lustig, wie man so fernab der Heimat auf vertraute Ortsnamen bzw. sogar auf das schwäbischen Meer stößt.
In Bodensee hatte ich am Vormittag die Gemeinde angerufen und angefragt, ob ich neben dem Spielfeld des Sportplatzes mein Zelt aufbauen dürfte. Die Frau am anderen Ende des Telefons meinte, dass sei kein Problem, und sie würde dem Bürgermeister Bescheid geben.
Entsprechend gelassen baue ich daher in einer ruhigen Ecke mein Zelt auf und bereite mir wenig später am gegenüberliegenden Platzende an einer Bank mein Abendessen zu.
Als plötzlich ein Mann mit einem Fahrrad zu mir gefahren kommt, gehe ich erst davon aus, dass es sich hierbei um den Bürgermeister handelt. Es ist allerdings der Platzwart, der mal vorbeischauen möchte. Er fragt mich, ob ich Student bin und von was ich auf meiner Reise lebe, anschließend ist er auch schon wieder weg.
Hatte es in der Ferne schon immer wieder gerumpelt und gedonnert, setzt auch bei mir schließlich kräftiger Platzregen ein, als ich gerade im Zelt liegend den neuen Bericht anfertige. Doch mein Zelt hält dicht, und in meinem Fall bleibt der Schauer auch unelektrisch.