Tiefe Kiefernwälder und ein Bad im Bach
Mi., 01.08.2018
Lutherstadt Wittenberg – Thießen – Köpnick – Kropstadt – Lobbese – Zeuden – Rietz – Treuenbrietzen
Kilometer: 45,3 km
Ich werde mal wieder pünktlich zum Sonnenaufgang wach. Man merkt nun jedoch schon deutlich, dass es auf den Herbst zu geht. Es wird nämlich morgens später hell.
Mein Plan, die Lutherstadt Wittenberg in aller Ruhe am Morgen anzuschauen, geht damit auf. Die Gassen sind noch schön leer, und damit sind auch Bilder kein Problem. Auch die Tür, an der Martin Luther seine Thesen angeschlagen haben soll, wird natürlich besucht. Der frühe Besuch hat jedoch auch einen Nachteil: Denn viele Sehenswürdigkeiten, wie die beiden Kirchen, öffnen erst um 10 Uhr.
Das ist mir zu spät, denn es soll heute wieder heiß werden, auch wenn davon aktuell nichts zu spüren ist. Es geht sogar ein kühler Wind, der einen die Schwüle besser ertragen lässt. In der Nacht hat es zwar in der Ferne einmal geblitzt, aber ansonsten ist es trocken geblieben. Doch nun hat es sich von Westen her bedrohlich zugezogen. Ich lasse mich davon nicht beeindrucken und laufe weiter zu einem örtlichen Baustoffgeschäft, wo ich mir neue Gurte hole. Außerdem zwei Gummigurte mit Karabiner an den Enden. Diese wickele ich öfters mal um den Griff und erhoffe mir, so eine Art Stoßdämpfer realisiert zu haben. Die eigentlichen Gurtbänder dienen nur noch als Sicherung für besonders hartes Gelände. Ansonsten hängt der Wagen nun in diesen Gummibändern.
Und die passende Teststrecke bekomme ich kurz darauf auch serviert. Auf schmalen Pfaden mit zahlreichen Wurzeln geht es entlang einiger Pferdekoppeln nach Norden. Meine Idee scheint aufzugehen. Der Wagen überträgt durch die Gummibänder die Unebenheiten nicht so sehr an den Hüftgurt wie zuvor die Bänder. Dennoch führt sich der Wagen stabil.
Auf sandigen Wegen geht es Richtung Thießen. Es ist interessant wie sich die Landschaft erneut verändert hat. Kiefernwald, durchsetzt von Wiesen und Hecken, und das deutlich hügeliger als am Vortag.
Die schwarze Wolkenwand hinter mir macht sich mit Donnergrollen bemerkbar. Aber zeitgleich zerfällt sie zusehends. Selbst der blaue Himmel dahinter ist bereits zu sehen. Lange wird das Gewitter nicht mehr existieren. Mit etwas Glück komme ich sogar trocken davon. Immer geradeaus geht es durch den Kiefernwald. Stellenweise wirkt er im jungen dichten Stadium nicht sehr ansprechend. Die älteren Abschnitte wissen jedoch mit ihren hellen, lichtdurchfluteten Bereichen und Grasbewuchs zu gefallen.
Köpnick präsentiert sich mir in einem sehr hübschen Tal, das landschaftlich so gar nicht zu den Vortagen passt. Große Weiden, durchsetzt von alten Bäumen, drumherum Wald. Alles wirkt sehr ansprechend und erinnert eher an ein Mittelgebirge. Nur, dass es dafür zu flach ist. Kurz nach Ortsende geht es für mich wieder auf geraden Wegen durch den Wald. Die sandigen Wege bereiten mir aufgrund des festeren Untergrunds keine Probleme. Ganz anders sah es ja am dritten Tag meiner Reise im Landkreis Gifhorn aus.
Als ich den Schlosspark von Kropstadt erreiche, hat die Sonne endgültig gewonnen. Regen ist überhaupt keiner gefallen. Was folgt, ist ein leer gefegter, blauer Himmel. Ich stelle mich innerlich bereits auf eine erneute Hitzewelle ein, doch es scheint zumindest hier nicht mehr so heiß zu werden. Mit dem Wind ist es sogar recht angenehm.
Auf einer üblen Kopfsteinpflasterstraße verlasse ich den Ort. Ich kann nur hoffen, dass der Weg nicht auf ganzer Strecke in diesem Zustand ist, sonst habe ich nämlich ein Problem. Stellenweise liegen die großen Brocken einfach lose auf dem Weg. Wo es Sand von der Seite hineingeblasen hat, komme ich deutlich besser voran. Zum Glück ändert sich die Wegbeschaffenheit jedoch nach einigen 100 m, und es stellt sich ein feiner Sandweg ein, gut zu befahren, und so erreiche ich kurz darauf an zwei Robinien die Landesgrenze von Brandenburg.
Brandenburg präsentiert sich mir klischeehaft mit Kiefernwald bis zum Horizont und jeder Menge Sand. Stellenweise habe ich das Gefühl, mich auf einer riesigen Düne zu bewegen. Nachdem ich den durchaus schönen Wald durchquert habe, komme ich am Feldrand an zahlreichen Pflaumensträuchern vorbei. Ich liebe Pflaumen und warte im Prinzip seit Wochen darauf, dass diese reif werden. Hauptproblematik ist jedoch meistens die Größe einer Rosine gewesen. Auch hier finde ich solche Exemplare vor. Und alle anderen sind leider wurmstichig. Schade!
Kurz vor Lobbese beginnt das Spiel mit der Wegbeschaffenheit wie in Kropstadt von vorne. Nur dieses mal umgekehrt. Erst geht es auf sandigen Wegen voran, dann mischt sich Kies unter, und schließlich habe ich wieder lose Kopfsteinpflastersteine vor mir, die kurz vor dem Ort eine Straßenform annehmen. Die Ortsstraße selbst ist zum Glück asphaltiert. Die kleine Kirche im Ort gefällt mir sehr.
Am Ortsausgang entdecke ich am Wegrand plötzlich einen Bock, der mir sehr bekannt vorkommt. Vor einer Woche wäre ich noch ahnungslos daran vorbeigelaufen und hätte mir Gedanken über dessen Funktion gemacht. Doch mit der Führung bei Jens weiß ich nun Bescheid: Es sind Überreste einer Bockwindmühle.
Zeuden erreiche ich über eine junge Lindenallee entlang der Straße. Ich bin gerade dabei, wieder eine Kirche zu fotografieren, da spricht mich ein Anwohner an, wo es hingeht. Als er es erfährt, meint er, dass er es toll findet. Zu DDR-Zeiten wäre so etwas nicht möglich gewesen. Da galt man dann gleich als asozial und wurde ins Arbeitslager gesteckt.
Da mein Wasservorrat wieder zur Neige geht, nutze ich die Chance und frage ihn, wo man hier im Ort am besten an Frischwasser kommt. “Bei mir!”, ist daraufhin seine Antwort und er führt mich zwei Häuser weiter, wo ich am Außenhahn meine Flaschen befüllen kann. Mittlerweile ist ein weiterer Nachbar eingetroffen und lässt sich von mir erklären, was ich vorhabe. Er findet es spitze. Deutschland ist so toll, und vielfältig ist auch seine Meinung. In der Zwischenzeit ist der erste Anwohner zurück und legt mir in Alufolie eingewickelte, selbst hergestellte Essiggurken hin und eine Flasche Apfelsaftschorle. Damit ich auch bis Potsdam komme, meint er lächelnd. Die Gurken wären eigentlich für einen Nachbarn gewesen, aber der könne auch etwas warten. Ich bedanke mich für diese spontane und nette Geste und ziehe weiter.
Zig Kilometer geht es auf einer neu angelegten Forststraße durch den Kiefernwald. Kein Wunder, dass es in Brandenburg Wölfe gibt, bei diesen riesigen Waldflächen. In Rietz angekommen, werde ich überall freundlich begrüßt. Wenn das die Grundtendenz für Brandenburg ist, dann freue ich mich auf dieses Land. Es ist überall eine freundliche Neugier zu spüren, keine starren und toten Blicke!
Auf meiner Karte ist kurz nach dem Ort an einem Radweg eine Schutzhütte eingezeichnet. Dort plane ich, für die Nacht zu bleiben. Auch im Ortszentrum von Rietz ist auf einer Wanderkarte diese Hütte eingezeichnet. Kurz vor Erreichen der Hütte, führt der Weg in einer leichten Steigung um die Kurve. Voller Vorfreude erklimme ich den Hügel. Mal gespannt, wie die Hütte so ist. Groß oder klein, sauber, oder dreckig? Gleich müsste sie vor mir auftauchen! Doch zu sehen ist nichts. Als ich mir ziemlich sicher bin, an der eingezeichneten Stelle vorbei zu sein, halte ich an und hole die Karte hervor. Ja, eindeutig vorbei. Aber vielleicht ist sie auch falsch eingezeichnet. Ich laufe weiter. Jedoch mit jedem Meter verdichtet sich die böse Vorahnung, dass ich diese Hütte wohl vergebens suchen werde. Sie existiert schlichtweg nicht mehr.
Nach Studium der Karte, beschließe ich, an den Baggersee von Treuenbrietzen zu laufen. Vielleicht finde ich dort eine schöne Stelle für das Zelt und eine Möglichkeit, mich zu waschen. Am See angekommen, geht es auf schmalen Pfaden am Ufer entlang. Überall sitzen Familien und Angler, und im See sind einige Schwimmer. Naja, kein Problem, denke ich mir. Die werden auch irgendwann weg sein. Ich komme an einer tiefschwarzen und verkohlten Gras- und Heckenlandschaft vorbei. Der beißende Geruch von Feuer liegt in der Luft. Das muss noch recht frisch sein! Anwohner, die sich unterhalten, bestätigen kurz darauf am Seeufer meinen Verdacht. Vor nicht einmal 24 Stunden hat es hier gebrannt. Auslöser waren vermutlich Jugendliche. Diese strömen mittlerweile in Massen an den See. Bierkisten in der Hand, sowie Luftpumpen für Luftmatratzen. Ich zweifle immer mehr daran, hier heute noch zur Ruhe zu kommen. Ich fühle mich nicht wohl und beschließe daher, an den Sportplatz am anderen Ende der Stadt zu ziehen. Beim Durchqueren von Treuenbrietzen fällt mir zwar der kleine Ortskern auf, aber so wirklich aufmerksam dabei bin ich nicht. Ich bin müde und möchte mich nur noch hinlegen.
Am Sportplatz baue ich in einer Bucht der Nieplitz mein Zelt auf, um mich kurz danach im glasklaren Wasser des Baches zu waschen. Was tut das gut! Und das schöne Sandbett schont die Füße.
Nach einem Telefonat mit Katharina gehe ich ins Bett. Doch ich bin gerade dabei, einzudösen, da setzt in einiger Entfernung Wolfsgeheul ein. Auf der einen Seite irre, diese Geräusche in freier Wildbahn zu hören, aber etwas unheimlich ist das schon! Die Hunde im Ort reagieren auch unruhig. Und bilde ich es mir nur ein, oder kommen die Wölfe näher?