Warum Pläne manchmal sinnlos sind
Fr., 10.08.2018
Große Tränke – Fürstenwalde – Berkenbrück – Kersdorf – Briesen (Mark) –Jacobsdorf (Mark)
Kilometer: 28,5 km
Die Nacht verlief störungsfrei. Kein Gewitter kam mehr vorbei, und das Zelt ist auch trocken geblieben. Dafür hat es herrlich abgekühlt. So gut, dass ich noch um 8 Uhr im Zelt liege. Eigentlich hatte ich vor, um diese Zeit bereits längst an Fürstenfelde vorbei zu sein. Aber nun gut, warum hetzen, ich habe ja Zeit! Und heiß soll es heute ja auch nicht mehr werden. Daher kann ich ruhig mal alles langsam angehen lassen.
Als ich schließlich den Platz verlasse, ist es kurz nach 9 Uhr. Immer an der Spree entlang, geht es auf einem asphaltierten Radweg Richtung Fürstenwalde. Zahlreiche Sturmschäden wurden hier in der Vergangenheit beseitigt. Ob das Überbleibsel von den Winterstürmen sind, oder Auswirkungen eines Sommergewitters, lässt sich leider nicht so genau sagen, da es in erster Linie Kiefern getroffen hat. An einem Altarm der Spree geht es weiter. Ein Altarm, da die Spree stellenweise für den Schiffsverkehr begradigt wurde. Diese Abschnitte nennen sich dann Oder-Spree-Kanal.
Zahlreiche Radler, unter anderem auch mit viel Gepäck, sind auf dem Radweg unterwegs. Offenbar ist der Spree-Radweg ähnlich beliebt wie der Werra-Radweg. Es wird freundlich gegrüßt. Einige Meter weiter beobachte ich einen vollbepackten Radler vor mir, wie er den Wald fotografiert. Als ich bei ihm ankomme, spricht er mich an, wohin ich gehe und was ich vorhabe. Sein Rad verrät, dass ich es erstens mit Manuel zu tun habe und zweitens, dass er offenbar auch ein interessantes Projekt durchführt. Ich beantworte Manuel seine Fragen, und er ist sichtlich von meinem Wagen und meiner Tour fasziniert. Ob der Wagen mich abwärts nicht zu sehr bergab schiebt, will er wissen. Auch wie viel der Wagen wiegt. Ich erzähle ihm von der Abfahrt ins Werratal, und wie sehr der Wagen da geschoben hat. Das es aber mehrheitlich nur Vorteile hat, einen solchen Wagen mit sich zu führen. Manuel erzählt mir, dass er vor zwei Wochen in Basel mit dem Rad gestartet sei, und nun auf dem Weg nach Rügen ans Kap Arkona ist. Er durchquert Deutschland sozusagen diagonal von Südwest nach Nordost. Meistens entlang einer Wasserscheide. Die Strecke ist mehrheitlich wild und eher für Mountainbiker gemacht. Er hat sein Rad unterwegs auch schon mehrfach reparieren müssen aufgrund der Wegverhältnisse. Er fängt an aufzuzählen, was bereits alles neu ist. Selbst die Pedale sind neu. Ich muss lachen. Da kommst du ja fast mit einem neuen Rad oben an, meine ich zu ihm. Er grinst und erzählt mir, dass vor kurzem beim Treten ein Knacken anfing, und er schon Angst vor einem Rahmenbruch hatte. Es war aber dann „nur“ das Tretlager. Er habe diese Tour schon einmal begonnen und musste dann aber abbrechen, weil das Schaltauge kaputt ging und in der Gegend auch niemand so schnell Ersatz auftreiben konnte. Er habe zwar versucht, noch einige Kilometer als Ein-Gang-Rad weiterzufahren, aber das sei bei diesem Streckenverlauf schnell grenzwertig geworden. Ich frage Manuel aufgrund seines Akzentes, ob er Schweizer sei. Nein, entgegnet er, er sei Italiener, und zeigt dabei stolz auf sein Trikot. Wohnen würde er in München. Ursprünglich kommt er aber aus der Gegend von Venedig.
Ich gebe Manuel meine Visitenkarte für den Blog und frage ihn, ob man ihn auch virtuell begleiten kann. Eine Homepage habe er zwar nicht, aber er würde immer wieder Bilder bei Facebook hochladen, teilt er mir mit. Die Leute würden sich schon beschweren, weil er immer nur Wald fotografieren würde, meint er lachend. Aber was soll man hier außer Wald schon fotografieren? ergänzt er. Ob er von mir ein Foto machen und es für Facebook verwenden dürfe, will er wissen. Dann habe er auch einmal etwas anderes außer Bäumen. Ich muss lachen und stimme zu. Auch ich mache ein Bild von ihm und seinem Fahrrad für meinen Blog. Wir wünschen uns beide noch eine gute Weiterfahrt, dann geht es weiter auf dem Radweg nach Fürstenwalde.
Link zu seinem Beitrag: Manuels Beitrag
In Fürstenwalde angekommen, laufe ich am Heimtiergarten vorbei und nehme noch zwei Flyer für Katharina mit. Anschließend geht es in die Stadt. Zuerst zu einem Supermarkt, eine zweite gefundene Pfandflasche abgeben, und anschließend in die Innenstadt. Das Ortszentrum ist ziemlich klein und außer einem schönen Rathaus und dem Dom gibt es im Prinzip auch nichts Fotogenes. Als ich den Dom betrete, weist mich ein Schild daraufhin, dass eine Besichtigung derzeit nicht möglich sei, man aber doch gerne warten möge. Im Hintergrund spielt Orgelmusik, und einige Stuhlreihen sind besetzt. Da findet wohl ein Gottesdienst statt. Ich verlasse wieder den Dom und will gerade weiter gehen, da kommt eine Frau aus dem Dom und spricht mich auf Englisch an. Die Veranstaltung sei in 15 Minuten vorbei, ich könne aber auch gerne hinein gehen. Das Konzert sei gebührenfrei. Und ich müsste mir unbedingt die alten Säulen im Inneren ansehen. Ich weiß nicht so genau, ob mich die Dame für einen Pilger hält und mich deswegen auf Englisch anspricht, oder ob sie selbst Britin ist. Ihr Englisch ist allerdings nicht viel besser als meines, sodass ich eher von ersterem ausgehe. Ich antworte daher auf Deutsch und bedanke mich. Sie reagiert allerdings erneut auf Englisch. Nun gut, vielleicht auch eine andere Nationalität.
Ein Konzert ist das also. Ich liebe ja Orgelmusik in Kirchen. Warum also nicht? Ich betrete erneut die Kirche und stelle meinen Wagen in den Vorraum, anschließend setze ich mich in eine der hinteren Reihen und versuche, mich auf die Musik einzulassen. Ich finde, es gibt ja nicht Mächtigeres wie den Klang einer Orgel in einer großen Kirche. Mich fasziniert die Bandbreite dieses an sich ja monströsen Instruments. Von ganz filigranen Tönen bis hin zum Erbeben des Kirchen-Bodens ist alles vertreten.
Der Komponist, ein Daniel Clark aus Wales, hat eine zum Teil sehr experimentelle Art, Orgel zu spielen. Ich brauche eine Weile, um mich darauf einzulassen. Doch als ich meine Augen schließe und zur Ruhe komme, erfasst mich die Melodie, und ich bin mitten drin. Was für ein Genuss und was für ein Glück, ausgerechnet heute hier zu sein! Auch wenn ich nur noch die letzten Minuten dieses Konzertes mitgenommen habe, war es doch eine Bereicherung für diesen Tag! Danke!
Nachdem die meisten Gäste gegangen sind, schaue ich mir in Ruhe den Dom an. Man sieht in seinem Inneren die ehemaligen Säulen des ursprünglichen Kirchenschiffs. Man hat sie wie Mahnmale beim Neuaufbau des Doms integriert.
Nachdem ich den Dom wieder verlassen habe, beschließe ich, nicht wie ursprünglich geplant die Route nördlich der Bahnstrecke zu nehmen, sondern der Straße Richtung Berkenbrück zu folgen. Heute ist wirklich das beste Beispiel, warum Planungen auf so einer Reise oftmals keinen Sinn ergeben. Es kommt nämlich meist sowieso anders. Frankfurt/Oder werde ich heute ohnehin nicht mehr erreichen, das Konzert war viel wertvoller!
An der Straße nach Berkenbrück fallen mir zahlreiche Kiefern auf, denen offenbar früher Harz entnommen worden ist. Wozu, ist mir allerdings nicht klar. Man sieht auf jeden Fall schön die Rillen, die ins Holz geritzt wurden, alle zur Mitte hin zulaufend und in der Mitte nach unten abführend. Außerdem entdecke ich an fast jedem Baum, unabhängig davon, ob es sich um eine Eiche, Kiefer oder Buche handelt, einen Nagel in der Baumrinde. Der Nagel selbst ist noch einmal farblich durch einen aufgesprühten Kreis hervorgehoben. Was diese Aktion bezwecken soll, ist mir erst recht schleierhaft.
In Berkenbrück führt mich mein Weg geradeaus in den Wald. Die Straße ist eine Sackgasse und führt nördlich der A12 durch einen dichten Kiefernwald. Entsprechend bin ich hier bis auf ein paar Radfahrer auch allein unterwegs. Als die Straße über die A12 abbiegt, habe ich nur noch einen Waldweg vor mir, der in Folge immer wieder seine Struktur ändert, leider nur zu meist unangenehmen Untergründen. Mal ist es grober Schotter, der meinen Wagen zum Hüpfen bringt, dann ist es wieder kilometerlang feiner und tiefer Sand, den mein Wagen zum Tanzen bringt. Und zum Schluss bekomme ich kurz vor Briesen auch noch Kopfsteinpflaster der übleren Art serviert. Aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen! Auch wenn ich bei Sandpassagen zwischenzeitlich das Gefühl habe, eine ganze Schulklasse hängt mir hinten an und zieht in die andere Richtung.
In Briesen suche ich mir einen Supermarkt auf und hole mir wieder einen Pott Eis. Dieses Mal ist Landliebe im Angebot: Zitrone-Limette. Sehr lecker! Aber erst mal suche ich nördlich der Bahnlinie meinen weiteren Weg. Laut Karte soll dieser unmittelbar nach Überqueren der Bahnlinie beginnen. Doch so wirklich nach Weg sieht es dort nicht aus. Eher nach Betriebshofzufahrt. Ich probiere dennoch mein Glück und laufe weiter. Kurz darauf stehe ich vor einem großen Schild, dass mich darauf hinweist, dass hier ein Betriebsgrundstück beginnt und das Befahren und Betreten verboten sei. Das Schild ist jedoch nicht auf den Weg vor mir ausgerichtet, der weiter führt, sondern seitlich auf ein großes Grundstück, auf dem große Schuttberge lagern und zudem zwei riesige alte Hallen stehen. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass sich das Schild auch auf den Weg bezieht, deute ich es kurzerhand um und fühle mich nicht angesprochen. Im Zweifel muss ich mich einfach dumm stellen, und so wirklich klar ersichtlich ist es ja wirklich nicht! Der Weg führt mich in der Nähe der Hallen über ein Grundstück, dass offensichtlich schon länger nicht mehr genutzt wird. Links und rechts liegen Schuttberge und Erdhügel. Doch nach 300 m bin ich bereits wieder auf einem Feldweg und somit außerhalb des Grundstücks.
Na, geht doch! Alles andere hätte einen großen Umweg bedeutet. Laut meiner Karte soll nun hier demnächst eine Pflaumenallee beginnen. Ich bin schon mächtig gespannt. Seit mehreren Tagen bin ich nun schon keinem Obst am Wegrand mehr begegnet. Ich giere regelrecht danach. Den Anfang machen jedoch Mirabellensträucher. Die meisten Mirabellen liegen jedoch in Form von Kernen am Boden. Außerdem habe ich im Wagen noch das Eis, das langsam aber sicher mal gegessen werden sollte. Nach Durchqueren eines Kiefernwaldes mache ich es mir daher auf einem Baumstamm gemütlich und löffle den Pott leer. Herrlich!
Doch was ist das eigentlich da schräg gegenüber? Hat da ein fanatischer Windrad-Gegner seine „Beutestücke“ heimlich deponiert, um seinen Triumph zu feiern? Oder hat da jemand ein Abkommen mit der Windrad-Lobby und bekommt alte Windradflügel für lau? So genau weiß ich es nicht. Tatsache aber ist, da hat jemand sehr viele Windradflügel als Weidezaun aufgebaut. Sachen gibt’s! Aber es scheint auch zu funktionieren. Die Rinder bleiben jedenfalls artig dahinter. Gut, bei der Höhe wäre auch alles andere ein Wunder.
Nachdem ich den Windradflügel-Hof hinter mir liegen gelassen habe, beginnt sich nun tatsächlich eine Pflaumenallee vor mir zu entfalten. Erst sind es nur einzelne Büsche, am Schluss habe ich links und rechts eine blaue Wand vor mir liegen. Trotz jeder Menge Eis im Bauch, kann ich es nicht lassen, immer wieder zu naschen. Denn hier sind doch sehr viele Pflaumen frei von Würmern.
Als ich gerade wieder weiterziehen möchte, kommt ein Mann mit seinem Sohn auf dem Fahrrad angefahren. Ich würde nach einer längeren Wanderung aussehen, meint er. Ja, entgegne ich und erzähle, was ich vorhabe. Er ist hin und weg! So etwas wollte er auch schon immer mal machen. Aber er hätte nie die Zeit gefunden. Er denkt, dass viele einen Traum haben, aber nicht dazu kommen, ihn zu verwirklichen. Und ich würde es einfach machen! Er ist fasziniert. Ob er ein Bild von mir machen dürfe, will er wissen. Ich stimme zu und bitte auch ihn um ein Foto. Auch er stimmt zu und holt seinen Sohn hinzu. Er erzählt mir noch, dass der Weg auf dem wir uns gerade befinden, früher die alte Poststraße von Fürstenwalde nach Frankfurt/Oder war. Wenn man ihr folgen würde, würde man in Frankfurt in einer Straße herauskommen, wo auch heute noch alte Poststraße dran steht. Sehr interessant! Er verabschiedet sich, und auch ich laufe weiter, immer wieder jedoch an Pflaumen stehen bleibend. Ich beschließe schließlich, einige für die nächsten Tage zu ernten, was ich auch sogleich umsetze.
Als ich schließlich in Jacobsdorf ankomme, ist es Zeit für einen Schlafplatz geworden. Auf einem Radweg geht es nach Durchqueren des Ortes Richtung Pillgram. Der Radweg entpuppt sich jedoch als ein schmaler und zugewachsener Wiesenweg zwischen Hecken hindurch an Feldern entlang.
An einer ebenen Stelle neben dem Weg baue ich kurzerhand mein Zelt auf. Vor einem Monat hätte ich das noch nicht gemacht, aber mittlerweile bin ich da deutlich entspannter. Auch ein vorbeifahrender Mopedfahrer grüßt nur freundlich und hat nichts zu beanstanden. Auf dem Weg sitzend, schreibe ich den Tagesbericht und genieße das schöne Wetter. So darf es gerne bleiben, bei diesem Temperaturniveau!