Abstecher nach Neresheim und erneute gesundheitliche Probleme
Do., 11.10.2018
Elchingen – Stetten – Neresheim – Lindenhof – Waldzierter Hof – Nattheim
Kilometer: 25,3 km
Am frühen Morgen eine weitere Überraschung: Statt dichtem Nebel begrüßt mich heute Sonnenschein. Nur in den Senken über den Feldern hat sich eine dünne Nebelschicht gebildet. Damit hatte ich nicht gerechnet!
Ich nutze sogleich den morgendlichen Sonnenschein und trage mein Zelt auf den asphaltierten Weg in die Sonne. Kurz darauf habe ich die komplette Kreuzung beschlagnahmt. Hier steht mein Zelt, dort liegt meine Isomatte mit dem Schlafsack auf dem Boden und an anderer Stelle liegt mein Innenzelt. Das Ganze unter einen Hut zu bringen, ist jedoch gar nicht so einfach wie erwartet. Zum einen möchte eine leichte Brise mein Zelt immer davonwehen, zum anderen muss ich auch eventuellen Verkehr im Auge behalten. Das ist hier zwar nur ein Feldweg und keine öffentliche Straße, aber dennoch kann ab und zu einmal ein Auto vorbeikommen. Nachdem mein Außenzelt ein zweites Mal die Fliege machen möchte, fixiere ich es kurzerhand mit zwei Heringen am Wegrand.
Ich bin gerade dabei, einen Zettel und einen Kugelschreiber aus meiner Tasche zu holen, um Lothar noch einen kleinen Dankesgruß zu seiner Thermoskanne und Tasse dazuzulegen, da kommt ein Auto angefahren. Ich laufe also schnell los und löse mein Zelt wieder ab. Doch das Auto hält an meinem Wagen an. Die Ehefrau von Lothar ist es und möchte die Thermoskanne abholen. „Wenn ich gewusst hätte, das Du noch hier bist, hätte ich dir ein Frühstück mitgebracht!” sagt sie. Ich bedanke mich noch einmal für diese herzliche Geste. Wenn ich auf dem Rückweg wäre, solle ich mich doch gerne einmal melden, sagt sie noch und steigt ins Auto. Als sie abgefahren ist, fällt mir ein, dass dies etwas schwierig werden dürfte, denn ich habe weder eine Adresse noch eine Telefonnummer, nur ihre Namen.
Kurz vor 10 Uhr habe ich endlich soweit alles trocken verpackt und ich mache mich auf den Weg nach Elchingen. Ursprünglich war es mein Plan, in Richtung Süden weiter zu laufen. Nur dann wäre ich bereits nach wenigen Stunden in Nattheim. Ich beschließe, einen Abstecher nach Neresheim südöstlich von mir zu machen. Das ist zwar ein Umweg, aber die Klosterkirche ist schon sehr beeindruckend! Wenn sie nur nicht so hoch am Hang liegen würde …
Über Feldwege laufe ich nach Elchingen. Durch den kleinen Ort bin ich schnell hindurch gegangen. Auf einem separaten Radweg entlang der Landstraße gehe ich hinab am Flugplatz Aalen-Elchingen vorbei nach Stetten. Als ich in Stetten durch die Straße laufe, bemerke ich plötzlich einen stechenden Geruch, und aus einem Haus vor mir kommen weiße Dämpfe gezogen. Da hat wohl jemand etwas anbrennen lassen. Als ich an dem Haus vorbeikomme, höre ich eine Frau laut fluchend einen alten Mann beschimpfen. Der komplette Flur ist in eine weiße Wand gehüllt, und ein Rauchmelder beginnt, einen lauten Alarmton abzusetzen. Ich muss an den Film „Honig im Kopf“ denken.
Weiter geht es an der Landstraße entlang in ein kleines Gewerbegebiet. Am anderen Ende muss ich die Straßenseite wechseln, und der Radweg führt mich nun auf der linken Seite nach Neresheim hinein. Hoch über dem Ort thront das alte Kloster mit der Kirche. Neresheim selbst ist mit der B466 stark bestraft, die mitten durch den Ortskern verläuft. Zahlreiche Lastzüge quetschen sich durch die zum Teil enge Straße. Ich bin froh, als ich den Ort durchquert habe. Dafür habe ich es nun mit einem durchaus respektablen Anstieg zu tun. Auf wenige 100 m geht es von 500 Höhenmetern hinauf auf 600 Höhenmeter. Immerhin ist die Lindenallee, auf der ich emporklettere, schön gelb verfärbt, und zahlreiche Kühe sorgen für ein harmonisches Bild.
Oben muss ich ziemlich stark schwitzen. Ursache ist nicht nur die Steigung, es ist heute auch ungewöhnlich warm! Im Klosterhof muss ich mich daher erst einmal wieder abkühlen, bevor ich die Klosterkirche betrete. Ich denke, Bilder sagen mehr als Worte. Für manchen Betrachter wirkt der Barockstil wie Kitsch, aber mir gefällt er!
Auf dem gleichen Weg geht es wieder hinab ins Tal. Anstatt mich wieder an der Bundesstraße durch den Ort zu quetschen, weiche ich auf eine Seitenstraße aus, die mich kurz darauf auch auf die andere Talseite führt. Parallel zum Bach wandere ich nun auf einem asphaltierten Radweg über Wiesen nach Westen. Auf der anderen Seite kann ich meinen Weg von vorher erkennen.
Die Sonne strahlt erbarmungslos herab. Meine Kappe kann ich jedoch in der Hosentasche, wo sie zuvor immer war, nicht entdecken. Habe ich sie etwa wieder verloren? Es ist gut möglich, dass sie in den letzten Tagen in den Packsack gewandert ist. Bei dem Wetter der letzten Tage brauchte ich sie ja nicht. Im Laufe des Weges wird mir immer übler. Schon am Vormittag hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Habe ich vielleicht von dem bisschen Sonnenbestrahlung einen Sonnenstich erworben? Oder steckt da immer noch etwas vom letzten Infekt im Körper? Ich weiß es nicht! Ich spüre nur, dass ich heute ausgesprochen schlapp bin! Entsprechend zäh komme ich schließlich auch an einer Wacholderheide nur den Berg hinauf.
Oben erwarten mich wieder Äcker und Wiesen. Doch ein Blick auf den Horizont verrät: Es geht noch weiter den Berg hinauf, und das bei dieser Sonnenwärme! Ich fühle mich immer matschiger in den Beinen. Wie weit ist es denn noch bis Nattheim? Weit kann es doch nicht mehr sein! Irgendwo da hinten hinter dem Wald muss der Ort sein! Auf einer Höhe geht es zum Waldzierter Hof. Von hier hat man einen tollen Blick in das Umland! Doch ich habe mittlerweile nur noch Augen für den Weg vor mir. Denn der ist ab dem Hof von Asphalt in Schotter übergegangen und führt mich sehr steil an Pferdekoppeln vorbei in den Wald. Ich habe mal wieder Bleiklumpen an den Füßen. Was ist denn das? Ein Tag ist super, dann folgt ein Tag mit Wehwehchen, dann wieder ein schöner Tag, und jetzt bin ich schon wieder komplett platt!
An einer Kreuzung habe ich im Wald die Anhöhe erreicht. Der gut ausgebaute Schotterweg zweigt nach rechts ab. Ich muss laut Karte jedoch geradeaus weitergehen. Vom Aussehen her erinnert mich dieser Weg jedoch stark an den Weg vom Vortag, der im Nirgendwo endete. Ich versuche trotzdem mein Glück und folge einem Pfad durch den Wald.
Hmm, irgendwann sollte jetzt aber ein Querweg kommen. Oder sind damit diese Rückegassen gemeint? Ich schaue auf meine Karte. Ich hoffe nicht, denn auf fast 5 km Unterholz habe ich in meinem heutigen Zustand keine Lust mehr! Kurz darauf stehe ich schließlich auf der erhofften Querstraße: Ein Schotterweg, typische Waldautobahn. Aber mir ist mittlerweile alles egal. Ich will nur noch ankommen! Gefühlte Stunden laufe ich den weißen Schotterweg durch den Wald.
Immerhin habe ich kühlen Schatten. Ich habe nicht damit gerechnet, mich noch im Oktober nach Schatten zu sehnen. Schließlich verlasse ich den Wald nach rechts und erreiche Ackerlandschaft. In der Ferne sind bereits die ersten Häuser von Nattheim zu sehen. Eigentlich ist es nicht mehr weit, aber ich habe das Gefühl, mich in der ungeschützten Landschaft keinen Millimeter vorwärts zu bewegen. Schatten, Schatten, Schatten, denke ich mir. Wo bist du? Und wo ist meine Kappe? Anstatt einfach einmal anzuhalten und im Packsack nachzuschauen, irre ich einfach weiter. So sehr bin ich bereits neben der Spur!
Schließlich habe ich Nattheim erreicht, den Ort, in dem ich meine ersten fünf Lebensjahre verbracht habe. Doch so sehr ich mich auch anstrenge, ich kann in dem Dorf nichts mir Bekanntes erkennen. Es könnte auch jeder beliebige andere Ort sein. Entweder es ist einfach zu lange her, und ich war einfach noch zu jung mit meinen 5 Jahren, oder es liegt an meinem gesundheitlichen Zustand. Meter für Meter schleppe ich mich zum südlichem Ortsrand, wo mein früheres Zuhause liegt. Doch auch hier habe ich keine Erinnerungsfetzen. Einzig der Kindergarten und das Haus kommen mir bekannt vor.
Ich klingele an dem Haus, in dem ich früher einmal gewohnt habe. Manfred öffnet mir. Er und seine Frau Bärbel waren die ehemaligen Vermieter meiner Eltern und wohnen mittlerweile selbst in diesem Haus. Zu meinen Eltern pflegen sie bis heute ein freundschaftliches Verhältnis, was mir auch eine Übernachtung in diesem für mich besonderen Gebäude ermöglichte! Es ist ein seltsames Gefühl, sich in einem Haus zu bewegen, in dem ich vor vielen, vielen Jahren als Kleinkind mit meinen Geschwistern gespielt, gelacht und geweint haben. Trotz aller Bemühungen ist mir auch im Haus alles fremd. Keine Erinnerungsfetzen kommen hoch. Schade, ich hatte gehofft, hier vielleicht in alten Erinnerungen schwelgen zu können. Nur an den Garten und die Terrasse kann ich mich noch erinnern. Wobei sich auch da natürlich einiges geändert hat.
Bärbel tischt uns zum Abendbrot sehr viel zu Essen auf. Mein Appetit ist jedoch leider nicht sehr groß. Ich habe zunehmend das Gefühl, wieder Fieber bekommen zu haben. Zumindest macht sich tiefe Müdigkeit breit, und meine Augen brennen. Die Stirn ist heiß. Entweder habe ich wirklich einen Sonnenstich bekommen oder aber ich bin immer noch nicht richtig auskuriert. Am Abend sind Bärbel und Manfred außer Haus. Mir ist die Zeit mit meinen Gastgebern immer sehr wichtig. Aber in diesem Fall bin ich froh, da ich mich so ohne schlechtes Gewissen frühzeitig hinlegen kann. Mal sehen, was der neue Tag bringen wird! Wenn es nach dem bisherigen Muster weiter geht, sollte ich morgen wieder Bäume ausreißen können!
Hallo Markus,
Schön, dass wir dir eine kleine Freude bereiten könnten. Wenn du Lust hast, kannst du dich ja auf dem Rückweg mal melden.
Liebe Grüsse Lothar und Alexandra