Von falschen Zebras, Bremsen und der Raupe Nimmersatt

Mo., 18.6.2018
Radenbeck – Wiswedel – Voitze – Tülau – Croya – Giebel – Rühen
Kilometer: 29,3 km

Die Nacht verlief bis auf das mehrmalige Rufen des Rehbocks ruhig und angenehm. Zwar sind gegen 6 Uhr schon einige Landwirte dabei, die Beregnungsanlagen neu aufzubauen, aber wir sind gut geschützt und werden nicht entdeckt. Nachdem wir das Zelt gemeinsam abgebaut haben, verabschiede ich noch Katharina und mache mich daran, die Deichselaufhängung am Hüftgurt zu optimieren. Zuerst ziehe ich die mitgebrachten Gurtbänder durch die beiden Laschen an den beiden äußersten Enden des Hüftgurtes und fixiere sie an der Deichsel. Meine Idee: Lastverteilung am Hüftgurt auf vier Seiten und nicht nur hinten. Aber so wirklich zufriedenstellend ist die Lösung nicht. Ein wirklicher spürbarer Effekt ist nicht zu erkennen. Also löse ich die Gurtbänder wieder, und nutze sie als Verlängerung bei der bestehenden Fixierung. Dazu bilde ich eine Schlaufe und hänge sie in die Karabiner ein. Die Deichsel hängt nun deutlich tiefer, der Hüftgurt umschließt aber super die Hüfte. Durch die Klemmen der Gurtbänder kann ich nun sogar die Höhe der Deichsel individuell bestimmen. Genau das war die Lösung, nach der ich gesucht hatte.
Ich breche auf und am Friedhof von Radenbeck schaue ich auf meinem Handy nach dem besten Weg Richtung Drömling. Eine Frau auf dem Friedhof spricht mich an, ob sie mir weiter helfen kann. Ich frage Sie nach dem Weg Richtung Brome. Worauf Sie mir die Empfehlung gibt, der Bundesstraße zu folgen. Da wäre wegen einer Straßensperrung kaum Verkehr.
Ich bedanke mich für den Tipp, entschließe mich im Ort dann jedoch spontan doch für die Alternative durch den Wald. Ich biege gerade in eine Seitenstraße Richtung Wald ab, da höre ich hinter mir ein Auto bremsen. Die Frau vom Friedhof ist es. Ob ich mich doch für die Variante durch den Wald entschieden habe, will sie wissen. Das wäre ein großer Umweg, gibt sie zu bedenken. Ich sage ihr, dass mir das nichts ausmacht, zumal ich Brome nur als grobe Richtung angegeben habe. Sie gibt mir daraufhin noch eine detaillierte Beschreibung durch den Wald. Ich bedanke mich und ziehe weiter.
Über einen sandigen Feldweg geht es leicht ansteigend hoch zum Wald. Drei Esel grasen am Waldrand auf der völlig ausgetrockneten Wiese. Wirklich zutraulich ist allerdings nur einer, die anderen bleiben auf Distanz.

Esel am Wegesrand

Ein Schild am Waldrand weist nun darauf hin, dass sich der Radweg, auf dem ich mich befinde, in einem schlechten Zustand ist. Ich ahne Böses. So manch kriminellen Radweg habe ich bei Wanderungen in der Region schon bestaunen dürfen. Mal sehen was mich nun erwartet, wenn auf den schlechten Zustand sogar hingewiesen wird.
Was folgt ist ein extrem feinsandiger Forstweg durch den Wald. Was auf den ersten Blick unscheinbar daher kommt, entpuppt sich als eine echte Herausforderung. In der Spur fahren ist nahezu unmöglich. Die Bremswirkung ist derart enorm, dass ich zwischendurch das Gefühl habe, mir hängen hinten 10 Mann am Wagen. Ich versuche daher immer seitlich versetzt durch die Grasnarbe zu fahren. Was auch einigermaßen funktioniert.

Unscheinbar, und dennoch unschön zu befahren

Nach etwa 2km verlasse ich den Wald und habe wieder Asphalt unter den Füßen. Ich erreiche Wiswedel, ein kleiner ruhiger Ort mit einem urigen Traktor. So wie es scheint, scheint dieser auch noch zu fahren.

Toller alter Traktor

Kurz nach Ortsende, blicken mich plötzlich zwei Zebras über den Zaun hinweg an. Ob der Besitzer wohl lieber Zebras, anstatt Pferde haben wollte?

Zebras? Nein so trocken ist es noch nicht

Über Voitze und Tülau geht es weiter über Feld,- und Wiesenwege Richtung Südosten. Als ich wieder mal an einer Biogasanlage vorbeikomme, beschließe ich, bei der nächsten mal anzuhalten und zu fragen, ob ich eine Betriebsführung bekomme. Die Abläufe dort würden mich schon sehr interessieren.
In der Nähe von Croya mache ich Mittagspause und bemerke an einer Eiche Fraßstellen. Ich vermute, dass es sich hierbei um den Eichenprozessionsspinner handelt, kann jedoch auf den ersten Blick auf Distanz nichts erkennen. Ich mache mich wieder auf den Weg, nichtsahnend, was mich die folgenden Stunden erwartet.
Auf angenehmen Asphaltwegen und Forststraßen geht es nun durch den Wald. Die Landschaft wird nun plötzlich eher durch Wiesen geprägt. Ich habe die Ausläufer des Drömlings erreicht. Mittlerweile lässt sich auch die Anwesenheit des Eichenprozessionsspinners nicht mehr leugnen. An fast jeder Eiche, an der ich vorbei komme, sind nun deutliche Gespinste, zum Teil bis herunter auf den Boden zu erkennen.

Eichenprozessionsraupen

So wirklich hatte ich mich in der Vergangenheit mit dem Schädling nicht beschäftigt. Aber ich wusste, dass man besser Abstand von ihm hält. Daher mache ich um jeden Baum, so gut es geht, einen großen Bogen und bin auch froh als ich auf offene Wiesenflächen heraus komme. Durch die Feuchtwiesen des Drömlings geht es Richtung Süden, bis ich vor mir knallrote Libellen bemerke. Für mich natürlich ein Foto wert. Während ich da so am Boden entlang krieche, kommt plötzlich hinter mir ein PKW angefahren. Ich will gerade beginnen, meinen Wagen und den Rucksack aus dem Weg zu räumen, da signalisiert mir der Fahrer, dass ich alles stehen lassen kann. Ich gehe zu ihm und wir kommen ins Gespräch.

Drömlings Wiesen und noch ein Weg
Rote Libelle

Er ist Jagdpächter in der Gegend und wollte gerade seinen Hochsitz besuchen. Wir unterhalten uns über Kraniche, Wildkameras und meine Reise. Dass er auch schon Langstreckentouren unternommen und auch nichts dagegen hat, wenn ich mir abends zum Schlafen im Wald ein Zelt aufbaue. Er gibt mir sogar noch Tipps, wo es besonders schön ist.
Er zeigt auf eine Eiche im Hintergrund und meint, er könne nicht aussteigen, der Wind käme aus dieser Richtung, und die Prozessionsspinner hätten ihn schon übel zugerichtet. Bis zu dem Zeitpunkt war mir die Problematik Wind gar nicht so bewusst gewesen. Ich dachte immer, es reicht, wenn man Abstand hält. Ein fataler Irrtum, wie sich später herausstellt.
Ich frage ihn noch, ob der Weg vor mir passierbar ist, da er einen immer wilderen Charakter bekommt. Er meint, das wäre kein Problem und wir verabschieden uns.
Nach ca 100 m und einem Holzstapel, stehe ich plötzlich vor einer Wand aus Gräsern. Es ist erkennbar, dass hier wohl mal ein Weg war, aber durch das hohe Gras komme ich mir vor wie im Dschungel. Zum Umdrehen habe ich aber auch keine Lust, und so schlage ich mir einen Weg durch dieses Dickicht. Als wäre das nicht genug, werde ich plötzlich von hunderten Bremsen attackiert. Trotz aller Abwehrversuche werde ich immer wieder gestochen. Die Eichen links und rechts werden immer kahler. Teilweise ist kein Blatt mehr am Baum. Eine surreale Stimmung! Der Weg, bzw das, was ich als Weg bezeichne, wird immer schlimmer. Durch Forstmaschinen entstandene tiefe Furchen sind in dem Graswald erst kurz vor knapp erkennbar. Mein Wagen schaukelt hin und her, und ich bin längst dazu übergegangen, ihn direkt am Griff zu führen. Etwa 100 m vor einer Straße kippt mir plötzlich der Wagen um. Die Stangen der Deichsel verdreht, dazu ich voll von Bremsen. Wo bin ich hier nur gelandet?
Ich löse die Klemmung der Trekkingstöcke an der Deichsel und ich habe Glück, die Deichsel nimmt wieder ihre richtige Form an. Als ich kurz darauf völlig geschafft auf der Landstraße ankomme, habe ich nur noch ein Ziel. Raus hier.

Hilfe, wo ist der Weg hin?
Noch habe ich gute Laune

Ich schlage gefühlt 100 Bremsen tot, sprühe mich von Kopf bis Fuß mit Mückenspray ein und flüchte. Nicht nach links zum Kaiserwinkel wie empfohlen, sondern nach rechts. Raus aus dem Wald. Was folgt, sind Kilometer verwüstete Eichenwälder. Der Eichenprozessionsspinner hat hier wirklich ganze Arbeit geleistet.
Kurz vor Rühen fährt im Wald ein Auto an mir vorbei, bremst, legt den Rückwärtsgang ein und hält neben mir. Ein junger Mann fragt mich, wo ich herkomme, was ich vorhabe und ob das da hinten an meinem Wagen Stative sind. Mitten auf der Landstraße entwickelt sich ein Gespräch über Kameras, beste Motive und natürlich die Reise. Als er aussteigen möchte, um das Gespräch dort fortzuführen, wird er sofort von zahlreichen Bremsen umkreist. Sind das Bremsen? fragt er. Ich bejahe und er flüchtet wieder in sein Auto. Er würde auf Stiche schlimm reagieren. Und dann sind da ja noch die Raupen. Wir verabschieden uns und ich ziehe weiter. Raus aus dem Wald.

Kahl gefressene Eichen

Und dann ist man endlich raus aus dem Wald und dann das! Eine Eichenallee. Das gibt es doch nicht. Und hier peitscht der Wind erst so richtig in die Bäume. Über einem dicke Säcke voller verpuppter Rauben, vom Wind hin und her geblasen. Platt gefahrene Nester auf der Straße deuten darauf hin, dass die Gefahr, von so einem Nest getroffen zu werden, gar nicht so unwahrscheinlich ist. Allein der Gedanke, so ein Gespinst auf den Kopf zu bekommen, treibt mich trotz mittlerweile schmerzender Füße zu neuen sportlichen Höchstleistungen an.

Ich habe Rühen fast erreicht, da kommt mir der Autofahrer bereits wieder entgegen. Er ruft mit zu, dass er leider arbeiten müsste, sonst hätte er mich mitgenommen und mir tolle Motive im Wendland gezeigt. Er wünscht mir viel Glück für die Reise und fährt weiter.
Als ich endlich Rühen erreicht habe, bin ich fix und fertig. Ich kann nicht mehr, ein Schlafplatz muss her. Was leichter gesagt ist, als getan. Denn überall gibt es befallene Eichen. Ich laufe durch die Gegend, kreuz und quer. Überquere den Mittellandkanal und laufe wieder zurück. Die einzigen Flecken, die in Frage kommen, sind direkt am Kanal im Grünstreifen. Und da beschließe ich auch, die Nacht zu bleiben.

Zweiter Übernachtungsplatz

Ich melde mich bei Katharina, die wieder vor hat, trotz der nun zunehmenden Distanz zu mir zu kommen, und gebe ihr meinen Standort durch. Außerdem sage ich ihr, was mir noch fehlt. Ich bin sehr dankbar für ihre Unterstützung, und wie sie meine Reise mitträgt! Das ist nicht selbstverständlich, finde ich.

3 Gedanken zu “Von falschen Zebras, Bremsen und der Raupe Nimmersatt”

  • Sind ja schon verrückte Dinger diese Eichenprozessionsspinner, hab ich die letzten Wochen mehrfach gehört, unabhängig von deinem Blog. Im Beitrag zuvor hattest du von Wasser geschrieben. Auch auf die Gefahr hin dass ich mich wiederhole, aber der Friedhof ist dazu die beste aller Anlaufstellen in Mitteleuropa.

    • Hallo Sebastian. Mit Friedhöfen, Tankstellen und Öffentlichen Toiletten habe ich bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Bis jetzt habe ich zumindest noch keine Konsequenzen verspürt.

  • Die Eichenprozessionsspinner sind nicht nur gefährlich, weil alles juckt, wenn man mit ihnen in Kontakt kommt. Manche Menschen reagieren auf die Berührung mit einem allergischen Schock. Das ist dann ein Fall für die Intensivstation eines Krankenhauses. Und wie Du ja geschrieben hast: man muss sie nicht unbedingt anfassen, man kann auch durch den Wind damit in Berührung kommen. Deshalb weiterhin Abstand davon halten! Klaus

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