Eine Erkenntnis und ein schönes Ende
Di., 3.07.2018
Thale- Rosstrappe –Todtenrode – Altenbrak –Hasselfelde –Domäne Stiege
Kilometer: 30,4 km
Die Nacht verlief ohne besondere Vorkommnisse. Kein Wildschwein, das mich besuchen kam. Ursprünglich hatte ich eigentlich vor, schon früh aufzubrechen, aber ich bin noch so müde vom Vorabend, dass ich bis 7 Uhr liegen bleibe.
Nachdem ich alles zusammengepackt habe, mache ich mich gegen 8 Uhr auf den Weg. Mein Plan, mit dem Wagen durch das schöne Bodetal zu ziehen, habe ich heute Nacht beerdigt. So langsam kollidieren Theorie und Praxis auf der Reise. Da ich durch das Bodetal vor einem Jahr schon mal gewandert bin, kenne ich die Wegbeschaffenheit. An mindestens zwei Stellen werde ich den Wagen tragen müssen. Doch dieser ist so schwer, dass selbst die verbauten Gurtschlösser am Schultergurt nicht mehr halten und der Gurt durchrutscht. Hinzu kommt die ungesunde Belastung für Knie und Schultern. Nein, ich muss der Realität ins Auge schauen. Mit dem Wagen werde ich höchstwahrscheinlich 70, eventuell auch 80 % der deutschen Wege laufen können. Der Rest ist für mich tabu. Da bleibt dann nur noch die Lösung, den Wagen irgendwo abzustellen oder zu verstecken und ohne ihn weiter zu ziehen. In dem Fall dann als Rundtour.
Nachdem das Bodetal für mich entfällt, bleibt nur noch der Weg über die „Berge“. Ich entscheide mich für die westliche Seite über die Rosstrappe. Auf einem breiten, stetig ansteigenden Waldweg mache ich schnell Höhe. Das Einzige, was schmerzt, ist mein rechter Fuß. Ich Esel hatte in der Nacht einen Mückenstich wund gekratzt, der nun bei jedem Schritt schmerzt. Tja, selbst dran schuld, da musst du nun durch, denke ich mir. Nach ca. 2 km lässt der Schmerz tatsächlich nach. Ich bin froh, dass es fast ausschließlich im Schatten bergauf geht. Es scheint heute nämlich noch heißer zu werden. Als der Weg wieder flacher wird, habe ich die Landstraße nach Treseburg erreicht. Doch mit dieser setzt nun wieder eine Steigung ein. Und im Gegensatz zum Forstweg scheint nun auch schön die Sonne in den Nacken. Na, hoffentlich bin ich bald oben!
Als ich die Abzweigung zur Rosstrappe erreiche, habe ich bereits die ersten 2 Liter meiner 2,5-Liter- Flaschen geleert. Kein Problem, denke ich mir. An der Rosstrappe gibt es sicherlich Toiletten oder Restaurants, wo ich sie wieder auffüllen kann. Mit Wagen möchte ich aber ungern da hin, da ich noch vor habe, bis zur Rosstrappe zu laufen. Dort ist aber alles steinig, wie ich von meinem Besuch vor einem Jahr noch weiß. Ich beschließe daher, meinen Wagen etwas abseits des Weges in einer Hecke zu verstecken. Nach einigem Suchen finde ich schließlich auch einen passenden Platz und dekoriere noch den Wagen mit abgeschnittenen Buchenzweigen. So kann es bleiben.
Mit kleinem Rucksack mache ich mich auf einem Waldweg Richtung Rosstrappe. Vorbei am Hotel und Restaurant. Vorne an der Spitze angekommen, genieße ich den Ausblick in das enge Tal im Morgenlicht. Auch ein Stempel der Harzer Wandernadel wird noch eingesammelt. Dann mache ich mich wieder auf den Rückweg.
Beim Berghotel mache ich mich auf die Suche nach Toiletten. Aber gibt es das? Keine weit und breit! An der Tür zum Hotel, das auch noch nicht geöffnet ist, findet man eine Information, dass sie ebenfalls keine öffentlichen Toiletten haben. Dass ein touristischer Anziehungspunkt wie die Rosstrappe keine Toiletten besitzt, hätte ich auch nicht gedacht. Tja, und wo komme ich nun an Wasser? Das Restaurant ist noch geschlossen, und im Kiosk gibt es nur völlig überteuerte Mischgetränke. Notgedrungen mache ich mich mit meinem halben Liter Wasser wieder auf den Weg. Muss ich mir eben auf längere Zeit einteilen.
Nachdem ich meinen Wagen wieder ausgegraben habe, geht es einen mal breiteren, mal schmäleren Waldweg mehr oder weniger auf einer Höhe durch den Wald. Dieser ist hier immer wieder durch Windwurf von der Sonne durchflutet. Die Waldhimbeeren sind dieses Jahr durch die Trockenheit extrem klein. Noch kleiner als sie es sonst schon sind.
War der Weg anfangs noch sehr angenehm zu befahren, ändert sich dies zunehmend. Der Grund sind tiefe Fahrspuren der Forstmaschinen. Durch die Trockenheit ist das Reifenprofil betonartig ausgehärtet. Mit den entsprechenden Folgen für meinen Wagen. Rumms, Krach, Rumms. Der Wagen springt hinter mir her wie ein Flummi. Ich bin davon überzeugt, ohne die Verstärkung in Magdeburg, wäre er mir bereits fünf Mal auseinandergebrochen.
Mit jedem Kilometer steigt meine Wut auf diese Maschinen. So sehr ich sie von der Technik auch faszinierend finde, in der Natur haben diese tonnenschweren Geräte aus meiner Sicht nichts verloren. Es ist irgendwie makaber, wenn man sich über die Erosion durch Mountainbikefahrer aufregt, aber zeitgleich solche Ungetüme durch die Wälder pflügen lässt. Da geht es wie immer nur um eines: Geld!
Als ich schließlich die von Cattenstedt kommende Landstraße erreiche, bin ich froh, endlich mal wieder befahrbaren Boden unter den Füßen zu haben. Diese verlasse ich jedoch kurz darauf nach rechts auf einer geschotterten Waldstraße. Gut zu befahren für meinen Wagen, mache ich endlich mal Strecke. An einer Schutzhütte mache ich Pause und sehe an der Wand noch einen Baumschläfer verschwinden. Ich gehe um die Hütte, aber sehe ihn nicht mehr. Wird wohl schon in den Baum gesprungen sein. Doch als ich eine Weile still sitze, raschelt es plötzlich neben mir in der Wand. Scheinbar befindet sich zwischen Innen- und Außenwand ein Hohlraum, wo der Kleine drinnen sitzt.
Mein Wasser wird derweil immer weniger. Hoffentlich bekomme ich in Altenbrak irgendwo Wasser, sonst habe ich ein ernsthaftes Problem. Als ich vor mir plötzlich ein Forsthaus entdecke, keimt neue Hoffnung auf. Vielleicht kann ich hier nach Wasser fragen. Als ich näher komme, stelle ich fest, dass es hier sogar ein Restaurant gibt. Und dieses ist sogar gut besucht. Vor dem Biergarten eine weitere Stempelstelle, an der ich mich auch wieder bediene. Innen frage ich die Kellnerin, ob ich die Toilette benutzen dürfte. Sie weist mir den Weg. Und so komme ich schließlich doch noch an neues Trinkwasser und kann mich am Waschbecken an den Armen und im Gesicht etwas abkühlen. Als Dankeschön lege ich der Kellnerin einen Euro hin und ziehe weiter. Auf einer gemulchten Straße, kein Witz, geht es den Berg hinab. Zum Schluss hin auf Schotter.
Am Hasenteich biege ich nach links ab, verlasse aber kurz darauf wieder die Landstraße auf einem Waldweg, dieses Mal gut zu befahren. Einzig der ebenerdige Verlauf macht mir Sorgen. Denn die parallel verlaufende Landstraße steigt immer weiter Richtung Altenbrak ab, während ich immer noch auf einer Höhe bleibe und kaum Höhe verliere. Das wird sich doch garantiert gleich rächen. In Gedanken sehe ich schon wieder eine Höllenabfahrt vor mir auftauchen. Doch ich irre mich. Kurz vor Altenbrak setzt Gefälle ein und das auf ganzer Länge in einem vertretbaren Rahmen.
In Altenbrak muss ich ein Stück entlang der Bode zurück Richtung Thale. Schuld ist eine fehlende Brückenverbindung an meinem Aufenthaltsort. Aber der Umweg hält sich in Grenzen. Mit der Überquerung der Bode erreiche ich auch wieder den Harzer Hexenstieg. Lange werde ich diesem jedoch nicht folgen, da meine Karte für meinen Wagen zu extremes Terrain ankündigt.
Das kalte Wasser der Bode bringt mich auf die Idee, meinen Hut in ihr zu waschen und nass wieder aufzusetzen. Was tut das gut bei dieser Hitze! Zwar tropft es nun ab und an vor mir herunter, aber die Kühlung am Kopf tut gut.
Leicht geht es nun auf einer Forststraße wieder bergauf, und das auf mehreren Kilometern. Wie auch schon auf der Gegenseite ist hier der Wald immer wieder durch Windwurf lichtdurchflutet. Da ich mich jedoch immer im Tal befinde, habe ich hier dennoch meistens Schatten. Ein kleiner Gebirgsbach begleitet mich entlang meines Weges. Das Wasser ist eisig kalt. Wohl Quellwasser, aber trinken möchte ich es aus Sicherheitsgründen dennoch nicht.
Als ich schließlich die Höhe erreicht habe, geht es auf Wiesenpfaden nach Hasselfelde. Hier habe ich vor, die Nacht zu verbringen. Vielleicht klappt es ja zur Abwechslung mal wieder beim Sportplatz. Ich irre durch den Ort. Aber überall, wo es klappen könnte, ist niemand. Hinzu kommt mein aufgebrauchtes Datenvolumen. Das Internet ist kaum zu gebrauchen. Von Katharina erhalte ich die Nummer vom Sportplatz. Doch der Mann am anderen Ende kann mir keine Zusage machen. Das Gelände gehört der Stadt, da hat er keine Befugnis, Einladungen auszusprechen.
Ich laufe erneut durch den ganzen Ort. Das Pfarramt. Vielleicht haben die Ideen oder kennen jemanden, wo ich mein Zelt aufbauen kann. Doch dies ist bereits geschlossen, und unter der Rufnummer geht nur ein Anrufbeantworter an. Es ist ja wie verhext! Ich drehe meine dritte Runde und frage mehrere Männer um Rat, die an einem Schrebergarten stehen und sich unterhalten. Sie überlegen. Probieren Sie es mal bei der Westernstadt. Da kann man für 5 Euro zelten, ist einer überzeugt. Ich bedanke mich, kann mir das aber nicht so richtig vorstellen. Die Westernstadt hat eigene Übernachtungsangebote, da werden sie sicherlich keine Konkurrenz in Form von einem Zelt dulden. Aber gut, versuchen kann man es ja mal. Aber erst mal noch etwas Wasser bei Netto holen.
Katharina versucht derweil die Westernstadt zu erreichen. Aber dort springt nur noch der Anrufbeantworter an. Aber offen müsste sie noch sein. Ich mache mich daher nach dem Einkauf dorthin auf den Weg. Knapp 2 km wieder zurück. Doch ich habe noch nicht den Ortsrand von Hasselfelde erreicht, da ruft mich Katharina erneut an. Sie hätte eine ältere Dame, die mir ihren Garten anbietet. Ich bin baff! Wie hast du denn das jetzt hinbekommen, will ich wissen. Ich hab einfach alle Pensionen in Hasselfelde angerufen, sagt Katharina.
Ich mache also eine Kehrtwende, und es geht erneut durch Hasselfelde. Bald kennen mich bestimmt alle Einwohner. An der angegebenen Adresse angekommen, begutachtet mich eine Nachbarin misstrauisch. “Wo wollen Sie denn hin?” will sie wissen. Ich nenne ihr den Grund. “Das kann ich mir nicht vorstellen! Die haben nur Zimmer, und außerdem sind die nicht da. Da bin ich mir ziemlich sicher.” Ich bin irritiert. Meine Partnerin hat doch eben noch mit ihnen telefoniert, entgegne ich. Dann muss das von unterwegs gewesen sein, die kommen erst um 20 Uhr, erwidert mir die Nachbarin. “Aber Sie können ja gerne trotzdem klingeln.” Was ich auch mache. Die Tür geht auf, und Herr Krebs steht vor mir, seine Frau folgt ihm. “Ach, sind Sie doch da?” Der Nachbarin fallen schier die Augen aus dem Kopf. Ja wir sind wieder zurück.
Ich stelle mich kurz vor, und Herr Krebs sagt mir, dass ihnen noch die Idee gekommen ist, mich auf den Campingplatz nach Stiege zu fahren, der wäre nicht weit weg. Da hätte ich auch Duschen. Mein Budget lässt zwar eine erneute Übernachtung auf einem Campingplatz nicht so wirklich zu, aber das sage ich nicht. Zur Not schlage ich eben mein Zelt am Feldrand auf. Frau Krebs kommt mit dem Telefon aus dem Haus, was mir ihr Mann in die Hand drückt. Die Nummer vom Campingplatz. Aber es geht niemand ran. Nur ein Anrufbeantworter. “Gut, dann bauen Sie das Zelt eben doch im Garten auf!” meint Herr Krebs.
Im Garten angekommen, Herr Krebs zeigt mir gerade den Platz, ruft seine Frau vom Fenster ihm zu, der Campingplatz wäre nun doch dran. Sie haben noch Platz, und er wäre auch nicht teuer. Ich sage Herrn Krebs, dass er mich nicht dorthin zu fahren braucht. Die paar Kilometer schaffe ich auch noch zu Fuß. Doch er besteht darauf. Ich bin etwas skeptisch, ob mein Wagen überhaupt in ein Auto passt. Doch das klappt am Ende ohne Probleme. Am Campingplatz angekommen, wartet Herr Krebs, bis ich dort versorgt bin. Ich bedanke mich mehrmals bei ihm, und er macht sich wieder auf den Rückweg.
Mit Steffi, der Chefin des Campingplatzes Domäne Stiege, komme ich ins Gespräch über meine Reise und die Schwierigkeiten für Kleinunternehmen, wie sie es hier sind. Sie ist von meiner Reise so begeistert, dass ich für einen Fünfer hier bleiben kann. Dafür herzlichen Dank, liebe Steffi!
Sie erzählt mir, dass sie momentan gehäuft Reisende wie mich auf dem Platz haben. Viele Aussteiger, und andere, die sagen, sie nehmen sich nun einfach eine Auszeit. Sie gibt zu, mit jedem Tag, den sie Leute wie mich kennenlernt, kommt sie auch ins Grübeln. Ob das Leben, das wir von unserer Gesellschaft vorgelebt bekommen, das Richtige ist. Der Leistungsdruck macht zunehmend Druck, und die Veränderungen sind mittlerweile deutlich zu sehen. Viele psychisch Kranke, die es nicht mehr packen, mitzuhalten, oder Leute, die sagen, ich mache da nicht mehr mit, und ein völlig neues Leben mit einer komplett anderen Lebensweise beginnen. Begegnungen mit Leuten wie mir, sagt sie, setzt etwas im Kopf in Gange. Ich kann mir, ehrlich gesagt, auch nicht vorstellen, dass sich unsere Gesellschaft auf Dauer mit diesem Leistungsdruck, oftmals zu einem Hungerlohn, langfristig zufrieden geben wird. Das kollabiert irgendwann.
Nachdem ich geduscht, Wäsche gewaschen und gegessen habe, rufe ich Katharina an und bedanke mich für ihre großartige Hilfe heute und kläre mit ihr die kommenden Tage ab.
Als ich später im Bett liege, denke ich daran, wie sich heute mal wieder aus einer angespannten Lage eine derart großartige Entwicklung ergeben hat. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich Dinge entwickeln und in Folge neue Wege ermöglichen. Wie ein Puzzle, das am Anfang chaotisch und verwirrend erscheint, um am Ende doch ein klares Bild abzugeben.
Ohne den Anruf von Katharina und der Idee des Ehepaares Krebs, wäre ich definitiv nicht hier gelandet. Dabei ist das Gespräch mit Steffi für heute der schönste Sinneseindruck meiner Etappe gewesen.