Enttäuschung im Isartal
Fr., 26.10.2018
Fall – Vorderriß – Krün
Kilometer: 28,5 km
Am Morgen präsentiert sich mir der See wolkenverhangen. Ich hatte darauf gehofft, hier ein paar tolle Fotos machen zu können. Doch scheinbar wird nichts daraus! Ich drehe mich daher noch einmal um und döse weiter. Nach einer halben Stunde schaue ich wieder aus dem Zelt. Die Wolken lösen sich langsam auf, aber so richtig gefällt mir das alles noch nicht. Ich beschließe daher, schon einmal zusammenzupacken. Während ich das Zelt abbaue, kommt plötzlich die Sonne durch und der Blick nach Westen wird nun interessant. Ich ergreife meine Kamera und meine Filter und laufe an das Westufer. Nach und nach wird die Stimmung über dem See immer schöner. Nach etwa einer Stunde laufe ich weiter. Auf den Tag heute freue ich mich ganz besonders: Geht es heute doch durch das wilde und naturbelassene Isartal! Viele bezeichnen es als das bayerische Kanada. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt, was mich erwartet!
Anfangs folge ich einem Weg am linken Seeufer. Immer wieder muss ich innehalten und den herrlichen Blick über den See mit den Bergen im Hintergrund genießen. Am Ende des Sees und mit Erreichen des Isartals endet jedoch mein Weg.
Das hatte ich auch schon der Karte so entnommen. Mir bleibt nichts anderes übrig als für gut 6 km der Bundesstraße zu folgen. Zum Glück ist hier nicht sehr viel Verkehr und die Straße breit genug ausgebaut. Nach etwa 4 km wechsele ich die Seite und schaue hinab ins Isartal. Ein breiter Schotterstreifen durchzieht das Tal. Dazwischen fließt in zahlreichen Schleifen und Seitenarmen die Isar. Das ist schon ein wunderbarer Anblick! Nur gibt es leider keinen Weg durch das Tal!
Doch ab einem Parkplatz führt ein Weg hinab zur Isar. Ich folge ihm durch den Wald und stehe kurz darauf mit meinem Wagen im groben Schotter. Viel mehr als ein Stichweg ist das also nicht gewesen. Es gibt keinen Wanderweg entlang der Isar! Nur etwas oberhalb der Isar soll ab hier im Wald ein Weg nach Westen führen. Ich beschließe, diesem zu folgen. Das ist besser als das Marschieren ganz oben an der Bundesstraße entlang. Eine ganze Weile folge ich dem Waldweg in Richtung Westen. Die Wegbeschaffenheit ist stellenweise etwas schlammig, aber nachdem sich dort auch Reifenabdrücke von Mountainbikes befinden, muss dieser ja auch irgendwo hinführen, denke ich zumindest. Doch irgendwann ist auch dieser Weg zu Ende. Ich stehe vor einem Dickicht, vor mir sehe ich nur noch die Spuren von Forstmaschinen. Das kann unmöglich der Weg sein! Ich kehre um und nehme eine Abzweigung, die mich steil hinauf auf eine Art Terrasse führt. Hier gibt es jedoch auch nur noch tiefe Furchen und Äste auf dem Weg. Das sind eindeutig die Spuren von schweren Waldmaschinen. Man kann das jedenfalls nicht “einen Weg” nennen. Ich irre durch den Wald. Den kompletten Weg möchte ich sehr ungern zurückgehen. Daher ziehe ich meinen Wagen durch Schlamm und Pfützen, über Äste weiter in die Richtung zur Straße.
Stellenweise geht der „Weg“ sogar wieder zurück nach Osten. Mir ist mittlerweile alles egal! Hauptsache, ich komme hier wieder heraus! Ich kann es aber auch nicht sein lassen, mich immer wieder auf solche Experimente einzulassen! Nach einer gefühlten Ewigkeit stehe ich wieder auf der Bundesstraße und folge dieser weiter nach Westen, bis ich schließlich Vorderriß erreiche. Ab hier beginnt eine Mautstraße am nördlichen Ufer der Isar. Für Fußgänger und Radfahrer ist sie kostenfrei. Scheinbar scheint eine Mautstraße bei Touristen das Gefühl auszulösen: „Da muss ich hin, da muss es toll sein!“, denn auf der schmalen Straße ist sehr viel Verkehr. Dafür bin ich nun endlich direkt an der Isar mit ihrem türkisblauen Wasser. Irre!
Nach meiner Karte beginnt in Kürze ein Wanderweg auf der südlichen Isarseite, der mich nach Krün führen soll. Dann bin ich auch von der Straße weg und habe meine Ruhe im herrlichen Isartal, nehme ich an. Denn die Entscheidung, diesen Weg zu nehmen, entpuppt sich als große Enttäuschung! Nach Überqueren der Isar geht es anfangs noch an dieser entlang, doch dann muss ich breite Forststraßen den Berg hinauf in den Wald steigen. Von der Isar ist nichts mehr zu sehen, stattdessen Schatten, Monokulturen und eine breite Forststraße, die im Wald die ganze Zeit auf und ab führt. Das gibt es doch nicht! Da ist das Isartal so breit, und es gibt dort keinen Wanderweg? Ich hatte mir das so schön vorgestellt, doch nun laufe ich hier auf und ab durch einen Wald, fern ab der Isar. Ich bin enttäuscht! Da wäre es ja auf der Straße noch besser gewesen! Sonne, Blick auf die Isar…
Nach 2 km führt der Weg dann tatsächlich hinab ins Isartal, und für einen kurzen Moment genieße ich das, was ich mir vorgestellt habe: Einen Wanderweg durch die schöne Landschaft im Tal. Doch das Vergnügen hält nicht lange an: Sehr schnell geht es wieder bergauf in den Wald, teilweise sogar richtig weit bergauf. Wo bin ich hier bloß gelandet? Den Tag habe ich mir heute wahrlich anders vorgestellt! Wenigstens ist das Wetter herrlich! Viel bekomme ich in meinem Wald davon aber leider nicht mit.
Ich bin daher froh, als ich kurz vor Wallgau endlich an einer Alm herauskomme und die umliegenden Berge und das Zugspitzmassiv vor mir zu sehen bekomme. An meiner rechten Seite ist der Parkplatz zu sehen, auf dem Katharina und ich vor einigen Tagen noch übernachtet hatten. Damals hätte ich auch nicht gedacht, dass ich hier noch einmal zu Fuß vorbeikommen werde! Weiter geht es auf dem Weg nach Südosten.
Auf der Höhe von Krün macht das Tal einen Knick, und ich sehe zum ersten Mal das Karwendelgebirge vor mir liegen. Das ist schon ein imposantes Bergmassiv! Ich wechsele hinüber nach Krün, um mir in einem der Supermärkte etwas zu essen zu kaufen. Nach mehreren Tagen ohne Supermarkt und mit dem entsprechenden Hunger im Bauch fällt der Einkauf heute einmal üppiger aus. Ich überlege, wo ich heute mein Zelt aufbauen möchte. Noch einmal möchte ich ungern in die Dunkelheit kommen. Ich überlege, ob ich auf die Anhöhe bei Krün aufsteigen soll. Ich bin gerade 200 m weit gekommen, da entdecke ich in der Ferne am Isarstausee eine Schutzhütte. Eine richtige Schutzhütte! Wahnsinn! Ich dachte schon, so etwas gäbe es hier nicht. Ich beschließe kurzerhand, hier mein Zelt neben der Hütte aufzubauen. Die unmittelbare Nachbarschaft der B2 stört mich nicht. In der Schutzhütte sitzend beobachte ich, wie sich an der Karwendelspitze die Sonne verabschiedet. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass über Nacht schon der Winter einbrechen soll! Es ist so warm, es sind keine Wolken am Himmel. Aber in den Bergen geht so etwas ja oft schnell.
Ich verschwinde im Schlafsack und bin gespannt, was mich am nächsten Tag erwarten wird.